Wo findet das spirituelle Leben von Menschen in der Großstadt statt? Dieser Frage geht die deutsche Regisseurin Kordula Hildebrandt in ihrer Dokumentation „Spirit Berlin“ nach und stellt sich damit in eine lange Reihe von sehr unterschiedlichen filmischen Versuchen, der eigentümlichen Spiritualität der Weltstadt Berlins nahe zu kommen. Angefangen bei Walther Ruttmanns experimenteller Dokumentation „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“, über Wim Wenders melancholischen Engelfilm „Der Himmel über Berlin“ bis hin zu Jan-Ole Gersters Tragikomödie „Oh Boy“ bot sich Berlin immer wieder als Schauplatz für Reisen in das Innere an. Auf eine solche begibt sich auch der traurige Protagonist von Hildebrandts sanfter, behutsamer Milieustudie über die spirituelle Szene Berlins, doch leider bleibt die Regisseurin dabei zu zaghaft und oberflächlich, um wirklich zu überzeugen.
Die deutsche Hauptstadt lockt jeden Tag neue Touristen und Bewohner mit ihrer kulturellen Vielfalt an. Doch der aus der fränkischen Provinz zugezogene Schauspielschüler Stephan (Stephan Ziller) kann sich nicht für die Künstler und Hipster begeistern, die ihm täglich über den Weg laufen. Er sucht nach mehr, er will seinen Seelenfrieden finden. Enttäuscht von seiner katholischen Erziehung sucht er nach neuen Optionen der Selbsterfahrung und beschließt, sich durch das reiche spirituelle Angebot Berlins zu wühlen, um den für ihn passenden Weg zur inneren Ruhe zu finden. Er versucht es mit Yoga, besucht einen Ashram, betritt einen Krishna-Tempel, sucht ein Sufi-Zentrum auf und übt sich auch mal an einem Taizé-Gebet. Beim Yoga lernt er Simone (Simone Geißler) kennen, mit der eine Beziehung beginnt und auch mal Tantra-Sex ausprobiert. Doch bald wird es Simone zuviel. Statt sich endlich mal zu entscheiden, irrt Stephan als spiritueller Tourist durch die Szene…
Die Frage, ob ihr Protagonist Stephan seinen inneren Frieden finden wird, nimmt Regisseurin Kordula Hildebrandt lediglich als dramaturgischen Aufhänger, um so viele spirituelle Richtungen Berlins wie möglich vorzustellen. Das hat zwangsläufig den Effekt, dass die Fülle an unterschiedlichen Eindrücken „Spirit Berlin“ trotz des ruhigen und entspannten Erzähltempos eher zu einem Sprint durch das spirituelle Berlin macht. Zumal die Figur des ausgebrannten jungen Mannes nicht überzeugend genug gestaltet und mit Stephan Ziller – der sich gewissermaßen selbst „spielt“ – zu farblos besetzt ist, um selbst über die knappe Laufzeit von 84 Minuten zu tragen. Gelungen ist dagegen die sensible Kombination von Kamera, Schnitt und Musik, die durch warme Bilder, sanfte Töne und ruhigen Schnitt eine entspannte, ja geradezu spirituelle Stimmung erzeugt.
Richtig interessant wird der Film erst dann, wenn nicht mehr allein die offiziellen Vertreter bestimmter Glaubensrichtungen zu sehen sind, sondern jene Menschen zu Wort kommen, die nach spirituellem Halt suchen. Dies sind oft gestresste Menschen, die die exotischen Methoden und Philosophien benutzen, um aus dem Alltag zu fliehen. Ihnen bringt Kordula Hildebrandt viel Sympathie entgegen, versäumt es aber, die richtigen Fragen zu stellen und interessante Facetten aufzuzeigen. So gleitet ihr Film lieb, behutsam und leider allzu harmlos über seinen interessanten Gegenstand, ohne sich wirklich damit auseinanderzusetzen und neue Impulse zu liefern.
Fazit: Kordula Hildebrandts Dokumentation „Spirit Berlin“ liefert einen bunten Überblick über das spirituelle Treiben in Berlin ab, bleibt dabei aber zu oberflächlich, um wirklich neues zu zeigen.