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    Bleed For This
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bleed For This
    Von Gregor Torinus

    Boxerfilme wie „Rocky“ sind oft begeisternde Heldengeschichten, in denen sich der Protagonist unter Aufbietung all seiner Kräfte (und all seiner Leidensfähigkeit) von ganz unten nach ganz oben durchkämpft. Solche Filme sind moderne Märchen und zeigen die Quintessenz des amerikanischen Traums: nämlich dass mit harter Arbeit wirklich jeder seine Hoffnungen verwirklichen kann! Dabei verkörpert der Boxer, der sich aus zumeist sehr bescheidenen Verhältnissen seinen Platz in der Welt erstreitet, das Idealbild des hart arbeitenden einfachen Manns. Jetzt widmet sich auch Ben Younger („Couchgeflüster“) in „Bleed For This“ solch eine Geschichte. Dabei ist der Protagonist Vinny Pazienza ähnlich sympathisch wie einst Rocky Balboa - und zudem eine real existierende Person. „Bleed For This“ erzählt die mitreißende wahre Geschichte, wie Vinny nach einem schweren Unfall unter schier unmöglich erscheinenden Umständen ein Comeback versucht. Dabei glänzt „Whiplash“-Star Miles Teller in der Rolle des boxenden Underdogs.

    1988 ist der aus Providence stammende Boxer Vinny Pazienza (Miles Teller) nicht gut in Form. Nachdem er das dritte Match in Folge verliert, rät ihm sein Manager (Ted Levine) dazu, die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Doch stattdessen wechselt Vinny den Trainer und lässt sich fortan vom einstigen Mike-Tyson-Mentor und jetzigen Suffkopp Rooney (Aaron Eckhart) coachen. Vinny steigt gleich zwei Gewichtsklassen auf und gewinnt schließlich 1991 den Titel im Junior Mittelschwergewicht. Aber das Hoch ist nur von kurzer Dauer: Nach einem fatalen Autounfall, bei dem er sich den Hals bricht, muss er für sechs Monate eine direkt in seinem Schädel geschraubte Stützvorrichtung tragen. Der behandelnde Arzt erklärt ihm, dass er froh sein könne, wenn er später überhaupt wieder laufen lernt. Boxen hingegen sei ab sofort passé! Doch Vinny sieht ohne den Sport keinen Sinn in seinem Leben und beginnt heimlich wieder zu trainieren - ein potentiell lebensgefährliches Unterfangen...

    Wie Martin Scorceses Meisterwerk „Wie ein wilder Stier“ basiert auch Ben Youngers Boxerdrama „Bleed For This“ auf einer wahren Geschichte. Und genau wie Jake LaMotta (Robert De Niro) ein extrem schwieriger Typ ist, dessen selbstzerstörerischer Charakter ihn trotz seines großen Boxtalents unweigerlich in den Abgrund führt, erweist sich nun auch Vinny Pazienza keinesfalls als Heiliger. So verpasst er gleich in der ersten Szene beinahe einen seiner Kämpfe, weil er sich stattdessen mit einer Frau im Bett vergnügt. Aber solche rebellischen Aussetzer machen ihn eigentlich nur umso sympathischer. Miles Teller („Fantastic Four“, „War Dogs“) gelingt das Kunststück, Vinny als eine eigentlich widersprüchliche, aber trotzdem überzeugende Mischung aus verspieltem Quatschkopf und eisenhartem Kämpfer zu porträtieren – ein Charaktermix, der sich übrigens auch in den Boxkämpfen widerspiegelt: Vinny umtänzelt seine Gegner nicht nur, er rennt im Ring regelrecht vor ihnen weg, nur um dann umso geradliniger und härter zuzuschlagen.

    Vinny ist ein wenig skurril und verdammt zäh – ein echter Charakter eben, genau wie der Rest seines italoamerikanischer Neuengland-Clans, der von seinem Vater Angelo angeführt wird: eine auffällige Erscheinung mit zerknautschtem Gesicht und übergroßer Brille (kaum wiederzuerkennen: Ciarán Hinds, der König-jenseits-der-Mauer aus „Game Of Thrones“). Mutter Louise (Katey Sagal, bekannt als Peggy Bundy aus „Eine schrecklich nette Familie“) verschwindet hingegen bei jeder Fernsehübertragung eines Kampfes ihres Sohns im Nebenzimmer, um vor dem Hausaltar zu beten. Absolut grandios ist auch Aaron Eckhart („Sully“) mit dicker Plauze und beginnender Platte als grantiger und versoffener Trainer Kevin Rooney. Wie sich zwischen Vinny und Kevin allmählich eine Freundschaft entwickelt, ist noch einmal eine schöne eigene kleine Geschichte für sich.

    Eine der größten Stärken von „Bleed For This“ ist, dass sich Ben Younger auch die Zeit nimmt, um selbst scheinbar Nebensächliches im Detail zu beleuchten (zum Beispiel die Leidenschaft für Keramikelefanten von Vinnys Stiefbruder). Statt auf Action setzt der Filmemacher ganz auf Atmosphäre und Authentizität. Selbst die Szenen im Boxring sind – gerade im Vergleich zu den „Rocky“-Prügelstürmen - eher langsam, aber dafür umso physischer inszeniert. Statt schneller Schnitte dominieren heftige Schläge, die schon beim Zuschauen schmerzen. Auf die Spitze wird dieses Mitleiden des Publikums getrieben, wenn sich Vinny ohne Narkose die Schrauben aus dem Schädel drehen lässt – das kommentiert selbst der Arzt nur noch kopfschüttelnd mit einem saftigen: „Fuck Me!“

    Fazit: In dem dicht inszenierten „Bleed For This“ zeigt Ben Younger den mitreißenden Kampf des sympathisch-rebellischen Vinny Pazienza, der nach einem beinahe tödlichen Unfall wirklich alles für sein nicht für möglich gehaltenes Comeback riskiert.

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