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    Tatort: Zirkuskind
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Tatort: Zirkuskind
    Von Lars-Christian Daniels

    Mit „Tatort: Zirkuskind“ feiert die ARD-Krimi-Reihe mal wieder ein Jubiläum. Es ist offiziell der 900. „Tatort“, auch wenn dies streng genommen nicht ganz stimmt: Zählt man nämlich alle Folgen zusammen, ist es eigentlich bereits die 913. Ausgabe der Krimireihe und „Tatort: Mord auf Langeoog“ die heimliche Nr. 900. In den 80er Jahren produzierte der ORF nämlich dreizehn „Tatort“-Folgen außerhalb der Gemeinschaftsproduktion der ARD, die damals nur in Österreich gezeigt und im deutschen Fernsehen äußerst selten wiederholt wurden. Dass der offizielle Jubiläums-„Tatort“ nun in Ludwigshafen spielt, ist indes kein Zufall: Nachdem es in den Folgen Nr. 700 und Nr. 800 Debüts gab – das eine Mal die Leipziger Kollegen Keppler (Andreas Wuttke) und Saalfeld (Simone Thomalla), das andere Mal die Frankfurter Kommissare Steier (Joachim Król) und Mey (Nina Kunzendorf) - ehrt die ARD mit der Nr. 900 die dienstälteste „Tatort“-Ermittlerin. Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ist bereits zum 59. Mal für die Krimireihe im Einsatz. Von der Klasse früherer Tage sind sie und ihr langjähriger Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) in Till Endemanns „Tatort: Zirkuskind“ aber meilenweit entfernt: Die in die Jahre gekommenen Figuren wirken wie ein Schatten ihrer selbst und werden erneut mit einem schwachen Drehbuch von Harald Göckeritz gestraft, der bereits den vorherigen Ludwigshafener „Tatort: Freunde bis in den Tod“ in den Sand setzte.

    Zirkus Burani gastiert in Ludwigshafen: Unter den begeisterten Zuschauern der ersten Abendvorstellung sind auch Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe). Die Hauptkommissare werden am nächsten Morgen erneut ins Zirkuszelt zitiert: Feuerspucker Pit (Mark Filatov) liegt erschlagen in der Manege. Zirkuspatriarchin Louisiana (Steffi Kühnert) kümmert das wenig: Ihr Zirkus kämpft ums wirtschaftliche Überleben und die Ermittlungen der Mordkommission bringen den Betrieb des kleinen Familienunternehmens zusätzlich ins Stocken. Auch ihre Tochter Felicitas (Liv Lisa Fries), die als Artistin in der Manege auftritt, bereitet ihr Ärger: Sie ist mit dem einsamen Dasein als Zirkuskind schon lange nicht mehr glücklich und hatte vor einigen Wochen mit dem Mordopfer angebandelt. Aber hat eine der beiden Frauen ein Tatmotiv? Ins Visier der Ermittler gerät auch Pits Bruder Robbi (Hanno Koffler), der einen Aufenthalt in Tunesien offenbar dazu genutzt hat, Schmuck und Antiquitäten nach Deutschland zu schmuggeln. Und welche Rolle spielt der durchgeknallte Zirkus-Stammgast Herbert Rauch (Fritz Roth), der sich zwei Tage vor dem Mord mit Pit und seinem Bruder angelegt und nun in seiner Wohnung verbarrikadiert hat?

    Keine drei Monate ist es her, dass der „Tatort“ sich zuletzt in eine Manege verirrte: Im Wiesbadener „Tatort: Schwindelfrei“ heuerte LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) als Aushilfspianist im Zirkus an und ging dort undercover auf Mördersuche. Nun wagt Lena Odenthal einen spannungsarmen Drahtseilakt zwischen Mördersuche und nostalgischen Kindheitserinnerungen, der in diesem Fall sogar wörtlich zu verstehen ist: Während Murots Pianisten-Intermezzo trotz der musikalischen Einlagen zumindest vordergründig der Ermittlungsarbeit diente, erfüllt sich Odenthal zwischen Verhör und Observierung mal kurz einen Kindheitstraum und balanciert im Zirkuszelt über ein Drahtseil. Den Kriminalfall bringt diese halbherzig eingeflochtene akrobatische Einlage wenig voran, vielmehr steht sie exemplarisch für den seichten Kurs, den Drehbuchautor Harald Göckeritz und Regisseur Till Endemann von Beginn an einschlagen: Schon in der Auftaktsequenz stellt sich ein gemütliches Vorabendfeeling ein, wenn Odenthal und Kopper mal wieder privat zusammen unterwegs sind und zufälligerweise genau in dem Zirkus Popcorn knuspern, in dem sie am nächsten Morgen eine Leiche finden.

    Auch sonst hilft Kommissar Zufall bei den Ermittlungen fleißig mit: Auf die Spur der Schmuggler gelangt Odenthal nur, weil die Kommissarin an einem Antiquitätenladen vorbeischlendert und im Fenster zufällig eine afrikanische Halskette entdeckt. Die Dialoge und das Verhalten der Verdächtigen sind kaum glaubwürdiger: Kopper wiederholt für den Zuschauer gebetsmühlenartig das, was sein Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung ihm gerade erzählt hat, und observiert im Alleingang den vorbestraften Robbi, der bei einem heimlichen Treffen mit seinem Kontaktmann eine knallrote Zirkusjacke trägt, um seinem Beobachter im Getümmel der Ludwigshafener Fußgängerzone auch ja nicht aus dem Blickfeld zu geraten. Ähnlich plakativ fällt die Skizzierung des Schaustellermilieus aus: Die Kassen sind in Zeiten von Spielekonsolen und anderem Entertainment für die junge Generation knapp, die Schausteller heimatlose, aber mit beiden Beinen im Leben stehende Nomaden, und Zirkuskinder prinzipiell unglücklich, weil Freundschaften nie von Dauer sind. Drehbuchautor Harald Göckeritz hat nichts, aber auch überhaupt nichts Interessantes zu erzählen, und so ist auch der charismatische Fritz Roth („Muxmäuschenstill“) in einer völlig überzeichneten Rolle als suizidgefährdeter  Bademantelträger  verschenkt.   

    Auch die übrigen namhaften Nebendarsteller sind oft unterfordert: Da ist zum einen die gewohnt souveräne Steffi Kühnert, die auf der Leinwand zuletzt im Krebsdrama „Die Frau, die sich traut“ glänzte und hier in einem unfreiwillig komischen Finale in ein Tutu gequetscht wird. Zum anderen Nachwuchshoffnung Liv Lisa Fries, deren bemerkenswerter Auftritt im rührenden Sterbehilfedrama „Und morgen Mittag bin ich tot“ seit dem 13. Februar 2014 im Kino zu sehen ist, als titelgebendes Zirkuskind. Beide harmonieren in den Streitgesprächen zwischen Mutter und Tochter prächtig und stemmen die wichtigsten Nebenrollen des Krimis mühelos, sind aber letztlich nur hilflose Marionetten eines Drehbuchs, das manchmal wie aus einer anderen Zeit wirkt: Der Unterschied zu einem Ludwigshafen-„Tatort“ der 90er Jahre offenbart sich in erster Linie durch den technischen Fortschritt und die Frisuren der Kommissare, und selbst die nervtötenden Dialekt-Einschübe von Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt), die diesmal ihren Geburtstag feiert, sind seit ihrem Debüt im Jahr 1998 keine Spur amüsanter geworden. Für die Jubiläumsfolge einer Krimireihe, die sich in den vergangen Monaten mit vielen neuen Teams und Experimenten mal mehr, mal weniger erfolgreich neu zu erfinden versuchte, ist das viel zu wenig.

    Fazit: Die Zeiten, in denen die dynamische Jungkommissarin Lena Odenthal frischen Wind in eine männerdominierte Krimireihe brachte, scheinen wie aus einer anderen Ära. Der schwache Jubiläums-„Tatort: Zirkuskind“ bemüht ein in die Jahre gekommenes Konzept, leidet unter seinem miserablen Drehbuch und dürfte selbst eingefleischte Fans von Odenthal und Kopper nur bedingt zufrieden stellen.

    Übrigens: Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerst) ist mit ihrem Debüt im Jahr 1989 zwar die dienstälteste Ermittlerin, die meisten Folgen gehen aber auf das Konto ihrer Münchner Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl). Die Ermittler aus der Isarstadt traten zwar erst am Neujahrstag 1991 ihren Dienst an, liegen mit aktuell 66 Einsätzen aber knapp vor Odenthal (59).

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