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    Sturmland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sturmland
    Von Andreas Günther

    Die Weltmeisterschaft wurde gewonnen – und nun? Jetzt müssen für die Zukunft von Fußball-Deutschland die Jungen ran, In- wie Ausländer. Aber statt immer nur den Ball zu treten und sich fiesen Motivationssprüchen verrückter Trainer zu unterwerfen, haben die auch noch etwas anderes zu tun – wie zum Beispiel ihre sexuelle Orientierung zu finden. „Sturmland – Viharsarok“ des ungarischen Regisseurs Ádám Császi beginnt als Komödie auf einem deutschen Bolzplatz,  um sich dann im Heimatland des Filmemachers zu einer zunehmend dramatischen Coming-Out-Geschichte zu entwickeln. Der Orts- und Genrewechsel ist überraschend und vollzieht sich nicht ohne Verluste. Es führt kein direkter Weg von der Satire zur schwer erkämpften Jungmännerschwärmerei und von dort zum transzendentalen Finale, so wirkt hier einiges etwas gezwungen. Aber der Kern der Geschichte ist intakt: Wenn aus Freundschaft Liebe wird, dann gilt es, allen Konventionen und Vorurteilen zu trotzen.

    Fußballtalent Szabi (András Sütõ) gerät ins Straucheln – karrieretechnisch und emotional. Ein entscheidendes Spiel hat er durch eine gewagte Aktion vermasselt, zur großen Enttäuschung seines besten Freundes und Mitspielers Bernard (Sebastian Urzendowsky). Nach der niederschmetternden Fundamentalkritik des Trainers sucht Szabi einen Neuanfang zu Hause in Ungarn, auf dem verfallenen Hof, den er vom Großvater geerbt hat. Er lernt Áron (Ádám Varga) kennen, der ihm bei der Reparatur des Daches hilft. Eine Moped-Spitztour und viel Wodka bringen sie einander körperlich näher. Beide sind verwirrt. Szabi besucht seinen Vater, nur um festzustellen, dass der Fußballverrückte ihn ins Trainingslager zurückschicken will, während Áron die Beziehung zu seiner Freundin wieder aufnimmt. Als Szabi aufs schließlich aufs Land zurückkehrt, entbrennt die Leidenschaft zwischen den beiden jungen Männern erst so richtig. Bald werden sie mit Anfeindungen aus der Umgebung konfrontiert. Noch komplizierter wird die Sache, als auch noch Szabis Fußballkamerad Bernard in der ungarischen Provinz auftaucht.

    Fußball ist in „Sturmland – Viharsarok“ Vorspiel und Sublimierung in einem. „Der Ball ist rund wie der Hintern meiner Freundin“, bellt der Trainer suggestiv über den Platz, während seine jungen Spieler über den Rasen verstreut liegen, in eine Art Trance vertieft. Bald nach dieser Szene gilt die Aufmerksamkeit dann  Szabis Hintern – er dient als Zielscheibe für scharfe Schüsse mit dem Ball. Das ist die Strafe dafür, dass er dem Trainer im Zweikampf versehentlich mit dem Ellbogen die Nase blutig gehauen hat – ein grandios komisch eingefangener Moment. Gleichzeitig wird der Wink mit dem Zaunpfahl gegeben, dass es in diesem Film um nicht tolerierte Zärtlichkeit zwischen Männern geht. So gibt es Küsse nur unter dem Vorwand des ruppigen Scherzes: Der Fußball lässt die Berührung zu, aber nur als Aggression, dem „Spiel“ folgen dann Prügel unter der Dusche als Triebabfuhr.

    Regisseur und Autor Ádám Császi hat durchaus ein feines Gespür für das Unterschwellige, aber er unterschlägt auch nicht den offenen Hass und die Grausamkeit, die Szabi und Áron wegen ihrer Beziehung entgegenschlagen. Den Ressentiments steht er nicht etwa rein analytisch oder gar resignierend gegenüber, sondern er deutet eine erstaunlich positive Antwort an: Liebe kann alle Widerstände besiegen. Der Reiz der durchtrainierten Körper ist hier schlicht stärker als die Feindschaft der Dorfbewohner. Am Lagerfeuer wird verträumt gefummelt, das Moped zur Metapher herbeigesehnter Ungezügeltheit stilisiert, die Hausreparatur zum Liebesnestbau überhöht. Das alles läuft ein bisschen zu glatt, trotz eines gewissen neurotischen Potenzials, das an einige Filme von Gus van Sant („My Private Idaho“) erinnert. Fast gleitet „Sturmland“ dennoch in die sexuelle Idylle ab, erst spät besinnt sich Császi auf den universellen Teil seines Themas.

    Auch wenn die homophoben Auswüchse das Skandalöse in diesem Film sind, so ist der wichtigste Konflikt allgemeinerer Natur. Es geht um die Furcht davor und das instinktive Aufbegehren dagegen, in vorgegebene Lebensmuster gepresst zu werden, die der inneren Wahrheit eines Menschen widersprechen. Das gilt für Homosexuelle ebenso wie für alle anderen, wobei sich der Wunsch nach individueller Freiheit in einem Egoismus mit tödlichen Folgen entladen kann, der auch vor der Liebe nicht Halt macht. Die Inszenierung befindet sich dabei nicht immer auf der Höhe der reizvollen Thematik. In etwas altbacken naturalistischer Manier bemüht der Regisseur heftiges Gewitter und viel Regen, wenn die Seele trauert und wenn die Körper nicht zusammenfinden, stapft nackter Männerfuß auf ausgedörrtem Grund. Die sonnig gleißende, scheinbar heitere Helle des Anfangs verwandelt sich zwar in unmerklichen Schritten in Beklemmung und Verzweiflung, doch zum Ende tut sich ein erotisch-religiöser Märtyrer-Kitschhimmel auf, der in bemerkenswertem Widerspruch zum Freiheitsdrang steht, der den Film bis dahin geprägt hat.

     

    Fazit: Fast mehr noch als durch homophobe Konventionen ist die Liebe zweier junger Männer in „Sturmland“ durch die Angst vor der Bindung an ein bestimmtes Lebensmodell bedroht: Inszeniert wird dies ebenso romantisch wie düster, sexuell halbwegs explizit, trotzdem ein bisschen altmodisch und schließlich sehr christlich.

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