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    Concerning Violence
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Concerning Violence
    Von Michael Meyns

    Welche filmischen Schätze in den Archiven der Welt liegen, mag man sich gar nicht ausmalen. Gerade nachdem in den 60er Jahren kleine, handliche 16mm Kameras die Mobilität erhöhten, drehten Dokumentarfilmer erstaunliches Material, das nun oft irgendwo verstaubt. Doch was macht man, wenn man aufregendes Material findet? Es einfach nur zu zeigen, reicht meist nicht für einen interessanten Film, ein intellektueller Überbau muss her, der das wieder- oder neuentdeckte Material in einen Zusammenhang bringt. Für seinen Essayfilm „Concerning Violence“ der auf der Bildebene aus Aufnahmen über verschiedene afrikanische Länder in den 60er bis 80er Jahren besteht, wählte der schwedische Regisseur Göran Olsson eine ambitionierte Form: Er lässt Textpassagen aus Frantz Fanons Anti-Kolonialismus-Manifest „Die Verdammten dieser Erde“ zitieren, die teilweise einen interessanten Dialog mit den Bildern eingehen, oft aber auch zu analytischer Kurzsichtigkeit führen, die nicht unproblematisch ist.

    Schon für seinen Festivalerfolg „The Black Power Mixtape 1967-1975“ verwendete Göran Olsson Archivmaterial, das schwedische Journalisten seit den 60er Jahren in Amerika gedreht hatten. In „Concerning Violence – Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence” – so der vollständige Titel – zeigt er nun Bilder aus Afrika: Da sieht man die Revolutionäre der FRELIMO im angolanischen Busch, weiße Missionare in Tansania, die sich um die Zukunft „ihres“ Landes Sorgen machen, Aufnahmen von Toten und Verstümmelten in Guinea-Bissau, den jungen und damals noch revolutionären Robert Mugabe in Rhodesien (dem späteren Simbabwe) und schließlich Thomas Sankara, den kurze Zeit nach den Aufnahmen ermordeten Präsidenten Burkina Fasos, der schon Mitte der 80er Jahre die westliche Einflussnahme via Spendengelder und Bedingungen für Hilfe scharf kritisiert.

    Unterlegt sind diese Bilder mit kurzen, ausgesuchten Passagen aus einem der wichtigsten Bücher über den Kolonialismus: Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde.“ In diesem 1961 erschienenen Buch beschreibt der aus Martinique stammende Arzt und Psychologe Fanon in erster Linie den Kampf der algerischen Befreiungsbewegung FLN gegen die französischen Kolonialherren. Dabei geht es auch, aber nicht in erster Linie um Gewalt. Diese hielt Fanon für gerechtfertigt und sogar geradezu notwendig, um sich als unterdrücktes Land von den Ketten der Kolonisation zu befreien.

    In emphatischen, überbetontem Duktus vorgetragen von der Soul-Sängerin Lauryn Hill, werden diese Passagen auf bloße Aufrufe zur Rebellion, auf ein wütendes Pamphlet gegen die Unterdrückung reduziert - eine Aussage, die durch die Bilder noch verstärkt wird. So kraftvoll dies zum Teil auch ist, so beeindruckend die Bilder für sich genommen fraglos auch sind: Zusammengenommen bilden sie eine fragwürdige, zu kurz greifende Ideologie, die entscheidende Aspekte von Fanons Hauptwerk komplett ignoriert. Denn so sehr Fanon auch den zeitweiligen Einsatz von Gewalt als notwendiges Mittel beschrieb, so hellsichtig analysierte er schon 1961 die möglichen und traurigerweise auch tatsächlich eingetretenen Folgen der Dekolonialisation: ein bloßes Austauschen weißer durch schwarze Herrscher, die ebenso autokratisch und kleptomanisch agierten wie die verhassten Kolonialherren.

    Doch solche Zwischentöne, die Fanons Manifest zu so einem außerordentlich brillanten, hellsichtigen Werk machten, fehlen in Olssons Film völlig. Dass liegt nicht zuletzt an der meist kontextlosen Aneinaderreihung von Bildern aus völlig verschiedenen Ländern, die kaum mehr gemein haben, als das sie auf dem afrikanischen Kontinent liegen. War das „Black Power Mixtape“ durch seinen auf eine Bewegung, eine relativ kurze Zeit beschränkten Blick noch dicht und komplex (auch wenn schon hier eine ansatzweise verklärende Sicht auf den afroamerikanischen Widerstand erkennbar war), fasert „Concerning Violence“ in vieler Hinsicht aus. Das ist umso bedauerlicher, als die Bilder, die Olsson in den Archiven des schwedischen Fernsehens gefunden hat, außerordentlich faszinierend sind und spannende Einblicke in einzelne Aspekte der afrikanischen Realität geben. Nur diese Bilder dann auch in einen überzeugenden Kontext einzubetten, daran hapert es in einem ansonsten sehenswerten Film.

    Fazit: In „Concerning Violence“ schneidet Göran Olsson erneut faszinierende Archivaufnahmen zusammen – diesmal aus dem Afrika der 60er bis 80er Jahre – schafft es aber nur bedingt, sie in einen überzeugenden Kontext einzubetten.

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