Der österreichische Filmemacher Werner Boote nimmt gerne den ganzen Planeten in den Blick. Bereits für seine Dokumentation „Plastic Planet“ über den weltweiten Plastik-Boom und Plastik-Fluch reiste er rund um die Welt. Wenn er sich für seinen neuen Film „Population Boom“ wieder auf den Weg um den Globus gemacht hat, so deshalb, weil der Fokus ebenso weit ist. Bootes Fragestellung allerdings steht diesmal unter umgekehrten Vorzeichen, denn es geht nicht darum, einen tatsächlichen Missstand zu dokumentieren, sondern darum, ein Vorurteil zu demontieren. Der Österreicher ist angetreten, den seit vielen Jahrzehnten geführten öffentlichen Diskurs über die Gefahr der Überbevölkerung der Erde zu entlarven: als Ausdruck der Angst der Reichen vor der wachsenden zahlenmäßigen Übermacht der Armen.
„Wer von uns ist eigentlich zu viel?“ fragt Boote scheinbar naiv. Eine rein rhetorische Frage, denn natürlich ist die Antwort – ebenso scheinbar – bekannt: Nicht die Bewohner der reichen Länder auf der nördlichen Erdhalbkugel sind es, die sich überdurchschnittlich fortpflanzen, sondern diejenigen in den ärmsten Ländern der Welt. Ihnen gelten allerorten staatliche Programme zur Geburtenkontrolle und Familienplanung; ihrem Kinderreichtum gilt die Sorge der UNO, deren Generalsekretär Ban Ki-Moon die Geburt des siebenmilliardensten Erdenbürgers im Jahr 2011 mit einer Ansprache „begrüßte“, in der vor allem die Rede von Krieg, Klimawandel und Hungersnöten war. Boote und die Kamera sind dabei. Im anschließenden Interview erwähnt der Exekutivdirektor des UN Population Fund Mexiko als positives Beispiel für eine erfolgreiche Geburtenkontrolle: Die Geburtenrate liegt dort beim optimalen Durchschnitt von 2,1 Kindern pro Frau – jenem Wert, der eine Stabilität der Bevölkerungszahl garantiert. Erst später im Film wird Werner Boote mit dem mexikanischen Anwalt Enrique Mendoza Morales zusammentreffen, der erklärt, man habe in den Siebziger Jahren mit dem Streben nach Bevölkerungsreduktion vor allem auch der Ausbreitung des Kommunismus entgegenwirken wollen. Boote nimmt solche Aussagen auf und lässt sie unkommentiert stehen. Die politischen Implikationen dessen, was sein Film zeigt, sind deutlich genug.
Boote konzentriert sich indes auf das Menschliche hinter dem Zahlenwerk. In Anzug und Krawatte, mit Charme und Regenschirm, reist der Alpenländler freundlich lächelnd durch die Welt. In China befragt er Offizielle zur Ein-Kind-Politik und macht einer Braut Komplimente. In Kenia besucht er eine Geburtsstation und ein Massai-Dorf, in dem er erfährt, dass die Anzahl der Frauen und Kinder, die ein Mann haben könne, davon abhängt, wieviel Land er besitzt. In einem Slum im indischen Mumbai trifft er eine Großfamilie, deren Frauen ihm erklären, es sei wichtig, viele Kinder zu bekommen, da ja jederzeit eines sterben könne. Boote selbst ist jederzeit mit im Bild. Oft steht er auch ganz allein, umgeben von vorbeiströmenden Menschenmassen, mit einer Zeitung auf einer Straßenkreuzung, wahrscheinlich bei der Lektüre der neuesten Weltbevölkerungsstatistik der UNO. Der Kontrast der Bilder, derer er sich bedient, ist effektvoll: Das Spektrum reicht von der Überfülle an Menschen in einer Stadt wie Tokio bis zur entvölkerten Leere, die in Japan auf dem Land herrscht; von der unberührten Weite der afrikanischen Landschaft bis zum Gewusel am New Yorker Times Square. Allein der Sudan, erfährt man gegen Ende des Films, verfüge übrigens über genügend natürliche Ressourcen, um theoretisch eine Milliarde Menschen ernähren zu können. Ach ja, und allein das Pentagon verbrauche mehr Erdöl als ganz Schweden. Solche Informationen, fast beiläufig in den Film eingestreut, sorgen dafür, dass der Anstieg der Weltbevölkerung immer weniger als eines der dringlichsten Probleme dieses Planeten erscheint.
Fazit: In seinem sehr persönlich gehaltenen Dokumentarfilm geht Werner Boote der Frage nach, ob es tatsächlich zur Übervölkerung der Erde kommen kann. Und falls man sich vorher diesbezüglich Sorgen gemacht haben sollte, kann man sich nach diesem Film endlich entspannt zurücklehnen.