Dass Filme über Wissenschaftler keineswegs einschläfernd langweilig sein müssen und durchaus ihr Publikum finden können, wurde zuletzt wieder mehrfach bewiesen: Ob „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ über den Mathematiker Alan Turing oder „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ über den Physiker Stephen Hawking – Biopics über bedeutende Forscherpersönlichkeiten liegen im Trend. Auf dieser Welle will Matthew Brown („Ropewalk“) mit seinem Drama über den von „Slumdog Millionär“ Dev Patel gespielten indischen Mathematiker Srinavasa Ramanujan mitschwimmen. Doch anders als bei „The Imitation Game“, in dem die Enigma-Entschlüsselung für Thrillerspannung sorgte, und anders als bei „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ mit seiner Liebesgeschichte im Mittelpunkt, handelt es sich bei „Die Poesie des Unendlichen“ tatsächlich ganz zentral um einen Film über die Wissenschaft an sich. Der Erste Weltkrieg bleibt hier nur Hintergrund und eine kleine Romanze gibt es nur ganz am Rande: Im Grunde geht es in der Verfilmung des Buches „The Man Who Knew Infinity“ von Robert Kanigal „nur“ darum, dass der Held der Geschichte seine mathematischen Theorien veröffentlicht sehen will, doch Matthew Brown nutzt dies um anregend und durchaus spannend vom Aufeinanderprall zweier unterschiedlicher (Denk-)Kulturen zu erzählen. Erst gegen Ende verliert er die Stärken seines Films etwas aus den Augen.
Südindien im Jahre 1913. Der junge Büroangestellte Srinavasa Ramanujan (Dev Patel) lebt für die Mathematik. Weil aber weder seine Familie noch seine Kollegen Ramanujans außergewöhnlichevom Faszination für Zahlen, Gleichungen und Formeln nachvollziehen können, schreibt er eines Tages an den britischen Mathematikprofessor G. H. Hardy (Jeremy Irons), der am Trinity College in Cambridge lehrt. Hardy erkennt die Begabung des eigenwilligen jungen Mannes und lädt ihn zu sich nach sich nach England ein. Obwohl er seine Ehefrau Janaki (Devika Bhisé) in Indien zurücklassen muss, zögert Ramanujan zögert nicht lange, die Reise anzutreten – zu groß ist die Chance, endlich auf Gleichgesinnte zu treffen und seine Theorien veröffentlicht zu sehen. Doch recht bald nach seiner Ankunft muss der Quereinsteiger aus Indien, dass er auch unter den Mathematikern der Eliteuniversität ein Außenseiter ist. Abgesehen von seinem Mentor Hardy und dessen Kollegen John Littlewood (Toby Jones) ist das Universitätsestablishment nämlich alles andere als begeistert von der nonkonformistischen – und möglicherweise revolutionären – Denkweise des jungen Inders…
Srinavasa Ramanujans Arbeiten dienen Mathematikern und Physikern bis heute als Basis ihrer Studien, unter anderem bei der Erforschung schwarzer Löcher. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass Ramanujan ein Autodidakt war, der seine mathematischen Eingebungen zeitlebens als „ein Geschenk Gottes“ bezeichnet hat. So sehen wir zu Beginn von „Die Poesie der Unendlichkeit“ wie der Inder seine Formeln mit Kreide auf den Boden eines Tempels kritzelt. Wissenschaft und Glaube – bei Ramanujan greift beides ineinander. Ganz anders sieht das bei dem von Jeremy Irons („Batman V Superman“, „Das Geisterhaus“) gespielten Professor G. H. Hardy aus, der an nichts glaubt, das sich nicht beweisen lässt. Entsprechend zieht er sowohl die Existenz Gottes, als auch Ramanujans Theorien in Zweifel, die erst veröffentlicht werden sollen, wenn die nötigen Beweise erbracht worden sind. Eingebung oder Berechnung: Mit den beiden Männern, die trotz aller Gegensätze zu Freunden werden, treffen zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, Denkarten und Kulturen aufeinander.
Die Reibungen zwischen den beiden Hauptfiguren bilden die dramatische Essenz von „Die Poesie des Unendlichen“ und können auch jene Zuschauer in den Bann zu ziehen, die mit Mathematik ansonsten nicht viel am Hut haben, denn sie bekommen vor allem durch die hervorragenden Darsteller eine unmittelbar menschliche Dimension: Dev Patel ist als von Mathematik beflügeltes Genie ein Außenseiter, aber auch ein Sympathieträger, während Oscar-Preisträger Jeremy Irons nachvollziehbar (und gut wie immer) zwischen Wohlwollen und Starrköpfigkeit hin- und herpendelt. Regisseur und Drehbuchautor Matthew Brown mag sich aber nicht bis zum Ende auf den Konflikt zwischen Ramanujan und Hardy und die Sonderstellung des jungen Inders in Cambridge verlassen, sondern mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und später mit dem Ausbruch einer Tuberkuloseerkrankung bringt er eine etwas übertrieben wirkende Dramatisierung in den Film (fatale Bombenangriffe und obligatorisches Blut-Husten ins weiße Taschentuch inklusive). Im Prinzip lässt sich Brown daraus kein Vorwurf machen, denn das basiert alles auf wahren Begebenheiten, aber mit diesen Wendungen wird „Die Poesie des Unendlichen“ zum Schluss doch noch zum recht konventionellen historischen Biopic. Seine Besonderheiten und seine Stärken liegen vor allem in dem ungewöhnlichen Doppel-Porträt der ersten zwei Filmdrittel.
Fazit: Gut gespieltes und über weite Strecken außergewöhnliches Biopic über ein indisches Mathe-Genie.