Nach dem 40-Minüter „Philipp“, der 2010 unter anderem den First Steps Award gewann, folgt mit „Millionen“ nun der erste Kinolangfilm des Regisseurs Fabian Möhrke. Entstanden in der Reihe Kleines Fernsehspiel für das ZDF soll das tragikomische Charakterdrama unbedingt im Kino geschaut werden. Mit seiner präzisen Inszenierung gelingt es Regisseur Möhrke nämlich, die sprichwörtliche Frage „Was würdest du mit einem Millionengewinn tun?“ auf eine lakonische und schnörkellose, nichtsdestotrotz aber spannungsreiche und unterhaltsame Weise auszuloten. Beim „Achtung Berlin!“-Filmfestival 2014 erhielt „Millionen“ nach Erfolgen bei diversen anderen Festivals dann auch verdientermaßen die Auszeichnung als Bester Spielfilm.
Weil es unter seinen Arbeitskollegen so üblich ist, spielt auch der Büroangestellte Torsten (Andreas Döhler) regelmäßig Lotto. Als der Familienvater erfährt, dass er den mit 22 Millionen Euro prall gefüllten Jackpot geknackt hat, gerät sein Leben aus den Fugen. Völlig überfordert vom neuen Reichtum, weiß Torsten nicht so recht, was nun zu tun ist. Während seine Ehefrau Susanne (Carola Sigg) in Berlin einen Laden für Kindermode eröffnen will und der pubertierende Sohnemann Lutz (Levin Henning) auf eine Taschengelderhöhung drängt, versucht Torsten, sein altes Leben fortzuführen. Doch von den Arbeitskollegen bis zu den Kumpels aus dem Fußballverein treten die Menschen aus seiner Umgebung dem frisch gebackenen Multimillionär deutlich verändert gegenüber. Der Versuch, die enge Freundschaft mit Carsten (Godehard Giese) und Doreen (Annika Ernst) durch eine Beteiligung am Gewinn aufrecht zu erhalten, geht ebenfalls nach hinten los.
Fabian Möhrke, der auch das Drehbuch schrieb, konzentriert sich insbesondere auf die zunehmend mürrische Hauptfigur Torsten, die Andreas Döhler („Die Stunde des Wolfes“) stets am Rande des Nervenzusammenbruchs spielt. In den ersten Filmminuten zeichnet Möhrke das recht normale, vielleicht etwas eingerostete 08/15-Familien- und Arbeitsleben des Protagonisten mit wenigen Strichen. Das unerhörte Ereignis, das die geordnete Alltäglichkeit kräftig durcheinander wirbelt, ist in der Folge der titelgebende Lottogewinn: „Geld verursacht Spannung“ warnt schon der Lotto-Mitarbeiter, der den Gewinn auszahlt. Und tatsächlich steht Torsten das Wasser bald bis zum Hals, da der neue Reichtum reichlich zwischenmenschliches Streitpotential liefert. Schnell kommen daher Zweifel daran auf, ob der Gewinn tatsächlich ein Glücksfall war – oder doch eher ein großes Unglück. Denn letztlich war Torsten mit seinem Leben zufrieden und muss nun damit zurechtkommen, dass seine Bekannten in Anbetracht des erhöhten Kontostands eine grundlegende Lebensveränderung von ihm erwarten.
Die Stärke des unaufgeregten Kinodebüts liegt in der schnörkellosen Inszenierung, bei der das Hauptaugenmerk auf den Interaktionen der Figuren liegt. Weniger theoretisch und trocken als die Filme der sogenannten „Berliner Schule“ (wie z. B. „Bungalow“, „Yella“), aber doch von einer ähnlichen Ästhetik des Alltäglichen geprägt, findet Fabian Möhrke mit „Millionen“ eine Handschrift als Autorenfilmer. In langen Einstellungen und streng komponierten Bildern nähert sich sein Film dann auch ohne viele Worte einer rein „filmischen“ Erzählweise an, die sich im deutschen Gegenwartskino nicht jeder traut. Immer wieder genügen Fabian Möhrke und seinem Kameramann Marco Armborst dialogfreie Szenen und erzählerisch platzierte Schnitte, um die sozialen Spannungen zu demonstrieren, die dem ungewollten Millionär Torsten das Leben erschweren. Auf kommentierende Musik oder ausschweifende Erklärungen anderer Art verzichtet Möhrke dabei fast völlig – und überlässt es dem Publikum, das Dilemma der Hauptfigur nachzuvollziehen.
Fazit: Ein millionenschwerer Lottogewinn bricht in den Alltag eines ganz normalen Familienvaters – und bald offenbart die „glückliche“ Fügung ihre sozialen Schattenseiten. Das ist die Handlung von „Millionen“, das Ergebnis ist unbedingt sehenswertes deutsches Kino von einem Regisseur, von dem man sicher noch viel hören wird.