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    Westen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Westen

    Westen

    Von Sascha Westphal

    Zwei Filme machen zwar noch keinen Trend. Aber es fällt schon auf, dass nur wenige Monate nach Georg Maas’ „Zwei Leben“ mit Christian Schwochows „Westen“ noch ein weiterer Film herauskommt, in dem von den deutsch-deutschen Verwerfungen des Kalten Krieges erzählt wird. Maas hat sich dabei ganz bewusst in die Tradition der britischen und amerikanischen Spionagefilme der 1960er und 70er Jahre gestellt und in den besten Momenten tatsächlich eine Art John-le-Carré-Feeling heraufbeschworen. Christian Schwochow geht gemeinsam mit seiner Drehbuchautorin und Mutter Heide Schwochow nun einen anderen Weg. Sie weichen mit ihrer Adaption von Julia Francks autobiographisch eingefärbtem Roman „Lagerfeuer“ bewusst jeder klaren Genreeinordnung aus. Schwochow greift zwar auch ganz deutlich auf Motive des Agententhrillers zurück, aber nur um sich dessen Konventionen immer wieder sofort zu entziehen - der stete Flirt mit dem Genre ist vielmehr Teil eines akribischen Zeitporträts. Die Filmemacher tauchen tief ein ins Berlin der späten 1970er Jahre und fangen die bizarre, zwischen Hoffnung und Schaudern schwankende Stimmung jener Ära grandios ein.

    1978, mitten im Kalten Krieg, erhält die promovierte Chemikerin Nelly Senff (Jördis Triebel) die Erlaubnis, zusammen mit ihrem Sohn Alexej (Tristan Göbel) nach West-Berlin auszureisen. Am Grenzübergang muss sie allerdings noch eine letzte Demütigung über sich ergehen lassen. Für eine genaue Inspektion ihres Körpers muss sie sich komplett ausziehen. Danach erst darf sie die Grenze überqueren. Nur sind sie und Alexej damit noch lange nicht im Westen angekommen. Zunächst einmal müssen sie ein kleines Quartier in einem Übergangslager in Marienfelde beziehen. Dort erwarten Nelly weitere Untersuchungen und Verhöre. Nur so kann sie die zwölf Stempel erhalten, die sie für die Einbürgerung in die Bundesrepublik braucht. Eigentlich eine Formalität, doch schon das erste Gespräch mit einem westdeutschen Geheimdienstler und dem CIA-Agenten John Byrd (Jacky Ido) bringt ihre Vorstellungen ins Wanken. Plötzlich kann sie sich nicht einmal mehr sicher sein, ob Alexejs Vater, der russische Wissenschaftler Wassilij (Carlo Ljubek), tatsächlich bei einem Verkehrsunfall in seiner Heimat gestorben ist.

    Schon Christian Schwochows frühere Kinofilme, „Novemberkind“ und „Die Unsichtbare“, waren extrem präzise und atmosphärisch dichte Porträts von Frauen in Extremsituationen. Mit „Westen“ setzt er diese Reihe nun konsequent fort. Zugleich ist er aber auch noch einen Schritt weitergegangen. Erstmals hat sich sein Blick wirklich für die Welt geöffnet, die seine Protagonistin umgibt. Aus den eher privaten Dramen seiner ersten Arbeiten wird hier eine Art politisches Lehrstück. Ein Klima des Misstrauens und der ständigen Verdächtigungen erfüllt eben nicht nur das Leben in Ost-Berlin. Auch jenseits der Grenze in den Westsektoren der Stadt gibt es keinerlei Sicherheit und Vertrauen. Das beginnt bei den Agenten, die mit allen nur erdenklichen psychologischen Tricks versuchen, Nelly ihre Geheimnisse zu entlocken, und setzt sich nahtlos bei den Bewohnern des Auffanglagers untereinander fort.

    In dieser seltsamen, zutiefst deprimierenden Zwischenwelt, diesem Niemandsland auf dem Grund der Bundesrepublik, gelten andere Regeln und Gesetze. Vielleicht will John Byrd Nelly nur verunsichern. Vielleicht deutet sich in seinen Fragen aber auch eine Wirklichkeit an, die das Misstrauen erklären würde, mit dem die Behörden in der DDR der jungen Mutter und Chemikerin begegnet sind. Beides ist möglich. Und Christian Schwochow lässt die wahren Hintergründe von Nellys Ausreise und Wassilijs Tod offen. Es gibt keine Antworten und auch keine Lösungen, die das Publikum beruhigen könnten. Die Welt des Kalten Krieges kannte entgegen der Propaganda, die auf beiden Seiten betrieben wurde, weder Schwarz noch Weiß. Stattdessen gab es nur unendlich viele Schattierungen von Grau und eine Art ideologischen Nebel, der sich zusätzlich über alles legte.

    Niemand ist von dem allgegenwärtigen Misstrauen ausgenommen, schon gar nicht der melancholische Hans, den Alexander Scheer („Sonnenallee“) äußerst zurückgenommen, aber dennoch mit großer Intensität spielt. Hans hat Jahre in Bautzen gesessen, bevor er endlich ausreisen durfte. Nun sitzt er auch schon wieder seit mehr als einem Jahr in dem Auffanglager fest. Was ihn genau dort festhält, bleibt im Dunkeln. Auf jeden Fall steht schon bald der Verdacht im Raum, dass er, der sich so schnell mit Alexej angefreundet hat und sich bald mehr als Nelly um den Jungen kümmert, von der Stasi als Spitzel eingeschleust wurde. Doch letztlich könnte auch Nelly, die bei Jördis Triebel („Meine Schwestern“) nicht nur eine eigenwillige Stärke besitzt, sondern auch etwas Undurchsichtiges an sich hat, selbst eine Stasi-Agentin sein. Irgendwann schießt einem dieser Gedanke durch den Kopf, und spätestens in diesem Moment kann kein Zweifel mehr bestehen: Paranoia ist hochgradig ansteckend.

    Fazit: Christian Schwochow lässt in seiner Verfilmung von Julia Francks Roman noch einmal das geteilte Berlin der späten 1970er Jahre auferstehen. Es ist eine unwirtliche, von tiefsitzendem Misstrauen und unerfüllten Träumen gezeichnete Stadt, in der jeder zwischen die Fronten gerät. Die allgegenwärtige Unsicherheit ist dabei so mächtig, dass sie sich direkt auf das Publikum überträgt.

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