Über die enorme kulturelle Reichweite von Ludwig van Beethovens berühmtester Komposition, seiner neunten und letzten Symphonie, die in dem ekstatischen, unvergesslichen Chorus-Finale zu Friedrich Schillers Gedicht „An die Freude“ mündet, sollte eigentlich alles gesagt sein. Schließlich hat sich neben vielen anderen popkulturellen Erzeugnissen der Neuzeit auch der Soundtrack zu einem der besten Actionfilme der Filmgeschichte, Michael Kamens Musik zu „Stirb langsam“ (1988) großzügig bei der 9. leitmotivisch bedient. Dennoch, so zumindest die tragende These des Dokumentarfilms „Following the Ninth - Auf den Spuren von Beethovens letzter Symphonie“ von Regisseur Kerry Candaele, hat Beethovens atemberaubende Kunst gerade im vergangenen Jahrhundert über so viele kulturelle und nationale Schranken hinweg so viel politisches und revolutionäres Potential freigesetzt, dass die subversive Wirkmacht der Komposition noch nicht genug gewürdigt sei. Am Beispiel von vier sehr individuellen Schicksalen möchte Candaele aufzeigen, wie die 9. Symphonie als Initialzündung und Wegbegleiter für viele Menschen diente, schadet seinem Vorhaben aber mit einer irritierend unübersichtlichen Montage.
1824 feierte die 9. Symphonie des deutschen Komponisten Ludwig van Beethoven ihre Uraufführung in Wien. Der zu der Zeit bereits taube Musiker präsentierte damit wenige Jahre vor seinem Tod sein letztes großes Werk, das sofort auf sehr viel Anklang stieß. Bis zum heutigen Tag gehört die 9. Symphonie zu den bekanntesten Kompositionen der Kulturgeschichte und wurde von zahlreichen Individuen und Nationen als Hymne für die unterschiedlichsten Protestzwecke aufgenommen. Vor allem im krisengeplagten 20. Jahrhundert war die 9. Symphonie in allen Ecken der Welt immer und immer wieder zu hören. So etwa als unter der chilenischen Diktatur Pinochets Demonstranten eine Version der Neunten anstimmten, um den politischen Opfern über die Mauern ihrer Gefängnisse hinweg Mut zuzusprechen, oder als die Studenten die Neunte als Reaktion auf das sich anbahnende chinesische Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens über die Lautsprecher schickten. Oder als zur Gelegenheit des Mauerfalls in Deutschland Leonard Bernstein und sein Orchester die Hoffnung der Menschen mit der Neunten zum Ausdruck brachte. Oder wie in Japan 10.000 Sänger Deutsch lernen, um sich im Chor-Wettstreit um die Neunte zu behaupten.
Kerry Candaele, ein gebürtiger Kanadier mit Wohnsitz in Kalifornien, hat bereits einige Dokumentarfilme als Regisseur und/oder Produzent verantwortet. Als berühmtestes Werk des unter anderem auch als Musiker und Buchautor tätigen Candale gilt die mit seinem Bruder produzierte TV-Dokumentation „A League of Their Own“ (1987) über die Baseball-Karriere ihrer Mutter. Das Thema wurde von Hollywood-Regisseurin Penny Marshall aufgenommen und zu dem gleichnamigen Kassenhit „Eine Klasse für sich“ (1992) mit Geena Davis und Tom Hanks in den Hauptrollen gemacht. „Following the Ninth“, Candales jüngste Dokumentation als Regisseur, Autor und Produzent in Personalunion ist sein bislang ambitioniertestes Projekt. Über drei Jahre hat er in zwölf Ländern Menschen getroffen, Interviews geführt und Archivmaterial herausgesucht, um eine eindrucksvoll vielseitige Collage um die 9. Symphonie zu spinnen. Und in der Tat ist jede der Geschichten, die erzählt, spannend. Nur leider wird von Cutter Alejandro Valdes-Rochin so rapide und unkoordiniert von einem Schauplatz, von einem Schicksal zum nächsten geschnitten, dass man immer wieder aus der einzelnen Erzählung geschmissen wird und sich immer wieder neu geographisch und emotional neuorientieren muss. Der globale Zugang jenseits aller Differenzen ist sicherlich lobenswert, aber die strukturellen Probleme der Narration erschweren die Teilnahme am Film und seiner Botschaft.
Fazit: Engagierte, aber strukturell sehr holprige Dokumentation über den beachtlichen Wirkungsgrad von Beethovens 9. Symphonie rund um die Welt. Der Mangel an Kontext und die desorientierenden Sprünge zwischen den vier Einzelschicksalen machen die Anteilnahme daran um einiges schwieriger. Ein Fall, wo die ambitionierte Umsetzung der Filmemacher ihrem eigenen Anspruch leider zuwiderläuft.