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    Standing Tall
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Standing Tall
    Von Carsten Baumgardt

    Show oder Kunst? Mit welchem Akzent sollen die renommierten Filmfestspiele von Cannes eröffnet werden? In den vergangenen Jahren setzte Festivalleiter Thierry Frémaux mit wechselndem Erfolg auf Blockbuster wie „Robin Hood“ und „Der große Gatsby“ oder er versuchte es mit starbesetztem US-Autorenkino wie „Midnight in Paris“ und „Moonrise Kingdom“. Ein Komplettdesaster erlebte der Chef schließlich 2014 mit dem luxuriösen Monarchie-Drama „Grace Of Monaco“, das böse verrissen wurde. Doch bei der 68. Ausgabe des Festivals an der Croisette ist nun alles anders: Das schonungslose Sozialdrama „Standing Tall“ symbolisiert trotz der Beteiligung von Catherine Deneuve in einer der Hauptrollen die Abkehr vom Glamourösen und eine Rückkehr zur Kunst: Regisseurin Emmanuelle Bercot („Madame empfiehlt sich“), die erst als zweite Frau in der Geschichte das Festival eröffnen darf, zeichnet in ihrem ebenso kraftvollen wie berührenden Arthouse-Drama den Weg eines schwererziehbaren Kindes durch die Instanzen des französischen Fürsorgesystems nach.

    Die junge Mutter Sérevine (Sara Forestier) ist überfordert von ihrem tyrannischen sechsjährigen Sohn Malony (Enzo Trouillet), schließlich übergibt sie ihn entnervt in die Hände des Jugendamts. Aber auch unter staatlicher Obhut sorgt der Junge immer wieder für Schwierigkeiten. Im Teenageralter ist es für Malony (jetzt: Rod Paradot) längst zur Gewohnheit geworden, vor Jugendrichterin Florence Blaque (Catherine Deneuve) zu stehen, doch davon lässt sich der engagierte Sozialarbeiter Yann (Benoît Magimel)  nicht abschrecken. Er setzt sich persönlich für das Problemkind ein, aber Malony dankt es ihm zunächst nicht und stiehlt weiterhin Autos…

    Dass Regisseurin Emanuelle Bercot der schwierige Spagat zwischen hartem sozialen Realismus und emotional packenden Zwischentönen weitgehend gelingt, ist zu einem guten Teil dem Debütanten Rod Paradot in der Hauptrolle des jugendlichen Delinquenten zu verdanken. Denn sein Malony ist eben nicht nur ein unkontrollierbarer Wüterich, der jegliche Hilfe ablehnt und auch nach kleinen Fortschritten immer wieder in alte Muster zurückfällt. Der scheinbar aussichtslose Fall in Paradots Darstellung noch eine verborgene zweite Seite: So ist unterschwellig zu spüren wie der vermeintlich unverbesserliche Chaot nach Orientierung sucht und unter der verhärteten Oberfläche schimmert immer wieder Verletzlichkeit durch. Malony mag jener Typ von 16-Jährigen sein, vor dem man Messer, Scheren, Blumenvasen und Wertgegenstände in Sicherheit bringt, aber er ist keineswegs dumm und sogar irgendwie charmant.

    Auch wenn es Rod Paradot in vielen Szenen gelingt, Verständnis und sogar eine gewisse Sympathie für den emotionalen Berserker Malony zu wecken, ist „Standing Tall“ anders etwa als das durchaus vergleichbare US-Independent-Drama „Short Term 12“ kein optimistischer Film mit Wohlfühlende. Zwar wird der vorgezeichneten „Karriere“ des jugendlichen Straftäters, die über Erziehungsheime irgendwann ins Gefängnis führt, ein möglicher Ausweg gegenübergestellt, wenn Catherine Deneuve („Belle de Jour“, „8 Frauen“) als wohlwollende Jugendrichterin und Benoît Magimel („Die Klavierspielerin“) als Sozialarbeiter zu einer Art Ersatzfamilie für Malony werden, aber der Betroffene rebelliert auch gegen diese Option. Dem Regelverstoß folgt ein Hilfsangebot, auf das Verständnis reagiert der Junge mit Ablehnung: Dieses Muster wiederholt Bercot bis über die Schmerzgrenze hinaus. Dabei wird dann viel geschrien, sodass der Film nicht selten an den Rand der Hysterie gerät. Das wiederum mag irgendwann monoton und ermüdend wirken, aber dadurch wird umso klarer, dass es hier keine einfachen Lösungen gibt. Selbst als Malonys Liebe zu Tess (Diane Rouxel) schließlich doch Besserung verheißt, ist in diesem Drama der rohen Emotionen noch lange nichts gewonnen.

    Fazit: Emmanuelle Bercots kraftstrotzendes Sozialdrama „Standing Tall“ mag nicht immer differenziert und nuanciert sein, aber in seiner rauen Emotionalität ist es jederzeit packend. Und Newcomer Rod Paradot in der Hauptrolle ist eine echte Entdeckung.

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