In kargem, aber ästhetisch ansprechendem Schwarzweiß und dem spartanischen Format 1:1,37 fotografiert, wirkt „Ida“ wie eine Zeitreise in die 1960er, zur Nouvelle Vague oder den frühen Filmen von Andrzej Wajda („Die unschuldigen Zauberer“, „Blut der Leidenschaft“). Der aus Polen stammende Regisseur Pawel Pawlikowski begann seine Regiekarriere in England, wo er mit Filmen wie „The Summer of Love“ (2004) eine gewisse Bekanntheit erreichte, ehe er nun in seine alte Heimat zurückkehrt, um mit diesem spröden und eigenwilligen Arthaus-Drama einen umfassenden Themenkomplex um „Identität, Familie, Glaube, Schuld, Sozialismus und Musik“ abzuarbeiten. Doch selbst ausgewiesene Cinephile werden vom Resultat nicht automatisch begeistert sein.
1962, im kommunistischen Polen: Bevor die im katholischen Kloster als Waise aufgewachsene Novizin Anna (Agata Trzebuchowska) zur Volljährigkeit ihr Gelübde ablegt, soll sie auf Wunsch der Oberin ihre letzte lebende Verwandte, eine Tante namens Wanda (Agata Kulesza), kennenlernen. Diese war in der Nachkriegszeit eine staatshörige gefürchtete Richterin (die „rote Wanda“), wurde aber später auf einen unwichtigen Posten degradiert. Die alleinstehende Lebedame mit hohem Konsum an Alkohol, Männern und Zigaretten eröffnet ihrer Nichte, die bisher kaum Kontakt mit der Welt außerhalb des Klosters hatte, dass die junge Frau eigentlich Ida heißt und jüdischer Abstammung ist. Gemeinsam brechen die ungleichen Frauen auf, um das Grab von Idas Eltern zu finden. Und dabei vielleicht auch zu sich selbst ...
Für Regisseur Pawlikowski ist „Ida“ offensichtlich eine sehr persönliche Angelegenheit, er rekonstruiert das Polen seiner Kindheit. Ein Land, das „vom Regen in die Traufe“ oder konkret vom Weltkrieg in den Sozialismus geriet, dabei aber dennoch vom Lebenswillen seiner Bewohner ausgezeichnet wird. Wanda als Genussmensch steht hier im starken Kontrast („Ich bin eine Nutte und du eine kleine Heilige“) zur unschuldig idealistischen Ida, die inmitten trauriger Bauten mit herabbröckelndem Putz ein wenig von der „richtigen“ Welt erleben soll.
Zu Beginn des Films wird der asketische Alltag im Kloster beschrieben: Gewänder aus rauem, grobem Material, knarzende Flure, trostlose Stille, die nur von lateinischen Gebete und dem Klimpern der Löffel beim mittäglichen Suppeschlürfen durchbrochen wird. Wanda erkennt in Ida ihre Schwester Róza wieder, befürchtet, dass das Mädchen ihr Leben wegwirft, und bittet sie etwa, die strenge Haube abzulegen, denn es ist ihr unverständlich, wie Ida in der Blüte der Jugend ihre schönen roten Haare verstecken kann oder nicht öfter lächelt.
Einerseits wird hier das polnische Volk zwischen Antisemitismus, Katholizismus und Sozialismus aufgerieben, andererseits gibt es auch kleine Momente des Glücks, etwa die Musik, zunächst durch zeitgenössische polnische Schlager im Stile von „Schuld war nur der Bossa Nova“ repräsentiert, später durch Jazzmusik, wobei die zum zweiten Mal mit Pawlikowski zusammenarbeitende Sängerin und Schauspielerin Joanna Kulig („Die verlorene Zeit“) und ein junger Saxofonist auch den scheuen Blicken Idas neue Möglichkeiten offenbaren.
Doch gleichzeitig versucht Wanda mit der wiedergewonnenen Verbissenheit einer Staatsanwältin das Geheimnis um die Familie zu entschlüsseln (nur ansatzweise entwickelt sich hier eine Detektivgeschichte, ehe sich die Richtung ändert). Hierbei vernachlässigt sie aber ihre jahrelang eingeübten Verdrängungsmechanismen (weniger grübeln, mehr trinken oder tanzen) und droht an der emotionalen Investition zu zerbrechen. Die Inszenierung setzt dies vor allem elliptisch um, statt darstellerisch zelebrierter Tränen ist es oft nur eine kleine Geste, ein flatterndes Vorbeistreichen des Handrücken an der vermutlich feuchten Wange, die die Emotionen signalisiert. Hinzu kommt eine auffallende Kadrierung, die die Figuren oft an den unteren Bildrand drängt, um sowohl Unterdrückung als auch eine mögliche „höhere Macht“ auszudrücken.
Gegen Ende des trotz betont langsamer Erzählweise mit 80 Minuten recht kurzen Films wirken einige Entscheidungen innerhalb des Drehbuchs wie vorprogrammiert. Realismus und Optimismus scheinen unvereinbar, die Kriegsvergangenheit ist ebenso bedrückend wie die aktuelle Regierung oder das Klosterleben, die Flucht (im Wartburg!) scheint unmöglich, der Ausbruch der Frauen aus dem rigiden System bleibt wenig mehr als eine Episode, ehe sie auf den Boden der Tatsachen zurückkehren müssen.
Fazit: „Ida“ ist ästhetisch herausragend, aber das fatalistische Drama zwischen Kirche, Staat und Holocaust droht an den eigenen hohen Ansprüchen zu scheitern. Die beiden ungleichen Hauptdarstellerinnen (ein Theaterprofi und eine an einer Schauspielkarriere nicht interessierte Zufallsentdeckung) können sich gegen die be- und unterdrückende Grundstimmung kaum durchsetzen, die in Ansätzen erkennbare Lebensfreude wird immer wieder niedergeschlagen.