Im Musical ist gute Laune Trumpf. Zwar gibt es gelegentlich tieftraurige Songs und melancholische Einsprengsel, aber am Ende wird der Zuschauer bevorzugt mit einem Hochgefühl aus dem Kino entlassen. Das gilt für die klassischen Hollywood-Filme genauso wie für viele der bunten Reigen aus Bollywood und die eher poppigen Varianten aus jüngeren Jahren. Zu diesen gehört auch das Jukebox-Musical: In Werken wie „Mamma Mia!“ (ABBA), „Rock Of Ages“ (Rock der 80er) oder „Across The Universe“ (The Beatles) wird um bekannte Hits eine mehr oder weniger flotte Handlung gesponnen, bei der es in erster Linie darum geht, die einzelnen Musiknummern möglichst gut zur Geltung zu bringen. Das ist in der Adaption des schottischen Bühnenerfolgs „Sunshine On Leith“ nicht anders: Rund um Songs der Folk-Rock-Band The Proclaimers („Letter From America“, „I’m Gonna Be“) schmiedet Dexter Fletcher ein super-fröhliches Singspiel, das durch seine mitreißend interpretierten Gesangsstücke begeistert. Inbrünstig und voller Wonne werden kleine Gesten zu großem heiterem Pathos überhöht, inhaltlich gerät die Musical-Romanze dabei allerdings sehr bieder und sprunghaft.
Nachdem Davy (George MacKay) und Ally (Kevin Guthrie) Seite an Seite als ISAF-Soldaten in Afghanistan gedient haben, kehren die besten Freunde in ihre Heimatstadt Edinburgh zurück, wo neben Jobs im Call-Center ihre Familien, Freunde und Freundinnen sehnsüchtig warten. Davys Vater Rab (Peter Mullan), Mutter Jean (Jane Horrocks) und Schwester Liz (Freya Mavor) sind überglücklich, dass der junge Mann den Einsatz heil überstanden hat. Der stürzt sich erst einmal ins Nachtleben und verliebt sich bei einem Date in die Engländerin Yvonne (Antonia Thomas), eine Freundin von Liz, die ihrerseits mit Ally liiert ist. Der wiederum will noch einen Schritt weiter gehen und seine Angebetete heiraten. Derweil ziehen ausgerechnet zur Silberhochzeit dunkle Wolken über der bisher vorbildlichen Ehe von Rab und Jean auf…
Das Musical „Sunshine On Leith“ (benannt nach dem gleichnamigen 1988er Durchbruchsalbum der Proclaimers) von Stephen Greenhorn und Dundee Rep feierte 2007 seine Premiere auf den Bühnen Großbritanniens. Den Sprung ins Kino realisiert der bisher vorwiegend als Schauspieler tätige Dexter Fletcher („Kick-Ass“) in seiner zweiten Regiearbeit mit reichlich beschwingtem Charme. Gleich die ungewöhnlichen ersten Einstellungen schwören die Musical-Fans auf die tragikomische Liebesgeschichte ein: Da schmettern ISAF-Soldaten in einem Panzer in Afghanistan beseelt den Eröffnungssong „Sky Takes the Soul“ und die schicksalsergebene Melancholie des Textes geht bald im unbeirrten Schwung der Musik verloren – über den Ernst der Kriegssituation wird hier optimistisch und lebensbejahend hinweggesungen. Und auch im weiteren Verlauf gilt: Immer wenn es emotional wird ersetzen Gesangseinlagen die Dialoge. So breiten sich zunächst ungehemmte Fröhlichkeit und unschuldiger 50er-Jahre-Charme im malerisch fotografierten Edinburgh aus – der harmonischen Atmosphäre kann man sich kaum entziehen.
Mitten in dieses Idyll setzt Regisseur Fletcher plötzlich einen radikalen Bruch, der so unerwartet wie unplausibel ist. An mehreren Fronten fällt die heile Welt zusammen und stürzt das Personal in akute Moll-Stimmung. Nun sind solche Umschwünge gerade im Musical, einem Genre der Extreme, nichts Seltenes, aber diese Wende wirkt aufgezwungen pessimistisch. Ein wenig mehr erzählerische Eleganz hätte dem Film bei diesem Übergang gutgetan, aber immerhin beleben die Konflikte die zuvor seicht in eitel Sonnenschein dahinplätschernde Handlung. Die Bandbreite der Emotionen wird erhöht und damit vergrößert sich auch das Ausdrucksspektrum der Schauspieler, die ihre Songs im Übrigen allesamt selbst aufgenommen haben (allerdings nachträglich im Studio und nicht „live“ vor der Kamera beim Einspielen der Szenen wie etwa bei „Les Misérables“).
Während die männlichen Hauptdarsteller George MacKay („Unbeugsam“) und Kevin Guthrie („Restless“) dennoch eher blass und austauschbar bleiben, glänzt TV-Star Freya Mavor („Skins“) mit der klar besten Singstimme. Die Töne exakt zu treffen, ist aber nicht alles. Das beweist Peter Mullan („Trainspotting“, „Gefährten“): Wenn der Haudegen des britischen Sozialkinos mit seiner rauen und hörbar untrainierten Stimme „Oh Jean“ zum Besten gibt, dann ist das ein Moment voller Herzblut. Und am Ende findet auch Regisseur Fletcher die vorübergehend abhanden gekommene Balance wieder: Erst bietet er dem geneigten Publikum eine superb arrangierte Tanz-Sequenz zu „Letter From America“ und schließlich entlässt er es mit einer fröhlichen Flash-Mob-Performance zum Superhit „I’m Gonna Be (500 Miles)“ aus dem Kino – und mit einem Lächeln auf den Lippen.
Fazit: Dexter Fletchers fröhliche Musical-Romanze „Sunshine On Leith“ ist kein Singspiel der feinen Nuancen, hier wird meist mit grobem Hobel Süßholz geraspelt. Aber selbst wenn die Handlung mitunter allzu schematisch verläuft, strotzen die Musical-Einlagen vor unbändiger Lebensfreude – ein Feelgood-Film mit schamlos großem Herz.