Mein Konto
    Tatort: Geburtstagskind
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Geburtstagskind
    Von Lars-Christian Daniels

    Der „Tatort“ aus Luzern ist neben dem aus Saarbrücken das Sorgenkind der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Quotentechnisch bildet der Schweizer Fadenkreuzkrimi das Schlusslicht, die Drehbücher offenbarten vor allem bei den ersten drei Folgen „Wunschdenken“, „Skalpell“ und „Hanglage mit Aussicht“ große Schwächen und die Pressestimmen fielen entsprechend miserabel aus. Das deutsche Fernsehpublikum muss zudem – anders als die Eidgenossen, die in den Genuss von  echtem Schwyzerdütsch kommen  – mit einer holprigen Synchronfassung leben. Seit dem im Februar 2013 ausgestrahlten Krimi „Schmutziger Donnerstag“ zeigt der Pfeil allerdings leicht nach oben: Im Luzerner Fasnachtstrubel entstand trotz einiger Logiklöcher zumindest eine spannende Geschichte. Auch Regisseur Tobias Ineichen („Clara und das Geheimnis der Bären“), der bereits die Folge „Skalpell“ inszenierte, kann mit dem neuesten Schweizer „Tatort:  Geburtstagskind“ eine erneute Bruchlandung vermeiden, doch sein Krimi ist dank der schwachen Synchronisation, des einfallsarmen Drehbuchs und einem halben Dutzend uninteressanter Nebenfiguren vom Prädikat „sehenswert“ noch immer ein gutes Stück entfernt.

    Am Abend ihres vierzehnten Geburtstags erhält die verschlossene Amina Halter (Carla Chiara Bär) unerwarteten Besuch: Ihr leiblicher Vater Kaspar Vogt (Marcus Signer), der auch aufgrund seiner kriminellen Vergangenheit kein gern gesehener Gast bei der Familie ist, platzt mitten in Aminas Geburtstagsfeier mit Stiefvater Beat (Oliver Bürgin), Mutter Ursula (Sarah Spale Bühlmann) und ihrer kleinen Schwester Julia (Anouk Petri) und wird unsanft vor die Tür gesetzt. Am nächsten Morgen ist Amina, die ohne Wissen ihrer Eltern im dritten Monat schwanger war, verschwunden. Drei Tage später wird sie tot im Wald gefunden. Was ist passiert? Die Luzerner Kommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) knöpfen sich zunächst Vogt vor, der für die Tatzeit kein wasserdichtes Alibi vorweisen kann. Aber ist der trinkende Ex-Knacki, der auf einem Campingplatz in einem heruntergekommenen Wohnwagen lebt, auch der Mörder? Die Ermittlungen führen die Schweizer Kommissare auch in das Sägewerk von Beat Halter und die Kreise einer strengen christlichen Glaubensgemeinschaft, der Aminas Stiefvater vorsteht…

    Der Luzerner „Tatort“ krankt neben den schwachen Drehbüchern seit jeher an einer weiteren großen Schwäche: zwei profillosen Hauptkommissaren, die dem Zuschauer im Grunde egal sind. „Im Zuge ihrer Ermittlungen werden Flückiger und Ritschard auch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.“, heißt es in der offiziellen Inhaltsangabe der ARD zum 879. „Tatort“ – doch wie sieht das in Luzern konkret aus? Während die Ludwigshafener Kollegen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Kopper (Andreas Hoppe) die eigene Vergangenheit in einem solchen Fall ausgiebig bei einer Flasche Rotwein in der gemeinsamen WG aufrollen und die Kölner Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) gemütlich bei einem Kölsch an der Wurstbraterei in Erinnerungen schwelgen würden, muss sich der Zuschauer hier mit einem einzigen Satz begnügen: „Vielleicht war ich auch ein Problemkind.“, gibt Ritschard dem mäßig interessierten Flückiger im Präsidium zu Protokoll, geht aber mit keinem Wort näher auf ihre verkorkste Kindheit ein. Der Hauch von Charakterzeichnung verpufft daher genauso schnell wie Ritschards leidenschaftlicher Lesbenkuss in „Schmutziger Donnerstag“, der Delia Mayer – wie 2001 Ulrike Folkerts und Sandra Borgmann im „Tatort: Fette Krieger“ – zumindest eine Handvoll Artikel in den Boulevardmedien bescherte.

    Auch über die übrigen Figuren des vielköpfigen Luzerner Ermittlerteams erfährt der Zuschauer weiterhin wenig, so dass keine echte Identifikation stattfinden kann. Als besonders störend erweisen sich diesmal neben den gewohnt überzeichneten Auftritten von Regierungsrat Mattmann (Jean-Pierre Cornu) auch die humorvoll gemeinten, aber leider furchtbar witzlosen Solo-Szenen der jungen Assistenten Brigitte Bürki (Anna Schinz) und Marcel Küng (Martin Klaus), die zum Beispiel im Rahmen einer Undercover-Überwachung zum Spontanknutschen im Auto verdonnert werden. Dagegen ist jede Sequenz mit dem mehrfach „Tatort“-erprobten Marcus Signer („Mary & Johnny“) als trinkender Rüpelvater eine wahre Wohltat: Signer spielt den vorbestraften Vogt, der als Alibi für die Tatzeit das Stehlen von Trauben angibt und damit – eiserne „Tatort“-Regel – als bekennender Kleinkrimineller bei der Täterfrage ausscheidet, herrlich rüpelhaft und macht den charismatischen Wohnwagenbewohner zum einzigen Lichtblick unter den Figuren. Oliver Bürgin als religiöser Fanatiker schrammt mit extremem Mienenspiel häufig nur knapp an der unfreiwilligen Komik vorbei, Sarah Spale Bühlmann bekommt als Ehefrau und Mutter nur wenig Raum zur Entfaltung, liefert aber zumindest das erfreulich originelle, entscheidende Indiz zur Überführung des Täters.

    Leider bleibt dieser gute Einfall in „Geburtstagskind“ die Ausnahme: Den am Reißbrett entworfenen Dialogen fehlt die Spritzigkeit, dem Drehbuch der letzte Pfiff. Drehbuchautor Moritz Gerber („Tag am Meer“) handelt die Strukturen der christlichen Glaubensgemeinschaft viel zu oberflächlich ab: Außer Bibelzitaten und zahlreichen ideologischen Phrasen hat Gemeinschaftsleiter Halter wenig zu erzählen, Hierarchie und Finanzierung der sektenähnlichen Gruppierung werden erst gar nicht angerissen. Auch die Zaunpfahl-Symbolik nervt: Wer wie Amina auf dem Klassenfoto nicht lächelt und am Rand steht, der kann ja nur ein von den Mitschülern gemiedener Außenseiter sein. So müssen sich die Schweizer „Tatort“-Macher einmal mehr die Frage stellen, ob weniger am Ende nicht mehr gewesen wäre. Beim SRF hat man diese Problematik offenbar erkannt und einige überflüssige Nebenrollen ersatzlos gestrichen: In der bereits abgedrehten sechsten Luzern-Folge „Kontakt mit dem Jenseits“ werden die Assistenten Brigitte Bürki (Anna Schinz), Marcel Küng (Martin Klaus) und Beat Odermatt (Matthias Fankhauser) ebenso zum letzten Mal zu sehen sein wie Kripochef Ernst Schmidinger (Andrea Zogg) und Sekretärin Elsa Giger (Suly Röthlisberger).

    Fazit: Im Süden nichts Neues – auch der fünfte Luzerner „Tatort“ ist aufgrund der schwachen Figurenskizzierung und des einfallsarmen Drehbuchs kein Befreiungsschlag für die vielgescholtenen Eidgenossen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top