„Ich sehe tote Menschen!“ – Von welchem Film ist die Rede? Na klar: M. Night Shyamalans Mystery-Meisterwerk „The Sixth Sense“, das im Jahr 2000 für stolze sechs Oscars nominiert wurde. Man könnte fast meinen, die Macher des Schweizer „Tatorts“ hätten ein wenig zu viele Gruselfilme dieser Art geschaut: In Michael Schaerers „Tatort: Zwischen zwei Welten“ treffen die Kommissare bei ihren Ermittlungen nämlich auf einen spirituellen Heiler, der vorgibt, mit Toten kommunizieren zu können und für die Polizei den Kontakt zu einem Mordopfer herstellt. Kann eine solche Geschichte im „Tatort“ funktionieren? Am ehesten wohl noch in Münster oder Weimar, wo bekanntermaßen der Humor und weniger der ernsthafte Anspruch im Vordergrund steht. Im fünften Krimi aus Luzern, von dessen Vorgängern bisher kein einziger überzeugte, geht das Experiment allerdings komplett in die Hose: Schaerers Mystery-Krimi gerät spätestens im Schlussdrittel zur unfreiwilligen Lachnummer und bestätigt den schwachen „Tatort“-Trend aus der Schweiz, die dem Rest der Krimireihe qualitativ hinterherhechelt.
Die dreifache Mutter Donna Müller (Elena Bernasconi) wird tot in einem Gleisbett gefunden. Als die Luzerner Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) ihren Kindern Ravi (Pablo Caprez), Alisha (Anna Fritz) und Emma (Annina Walt) die traurige Nachricht überbringen, treffen sie den Nachwuchs allein in der Wohnung an: Donna war alleinerziehend und alle drei Kinder stammen von verschiedenen Vätern. Die Kinder schweigen sich über den zurückliegenden Abend ebenso aus wie Donnas beste Freundin Biljana Lukovic (Stojcetovic Danijela Milijic), die sich häufig um Ravi, Alisha und Emma gekümmert hat. Ins Visier der Ermittler gerät Emmas Vater Daniele Rossi (Hans-Caspar Gattiker), der als Mitglied einer radikalen Vätergruppe gegen die Sorgerechtsprechung mobil macht. André Barmettler (Benjamin Grüter), der Vater von Alisha, wohnt zwar in Luzern, hat aber jeden Kontakt zu ihr abgebrochen. Auch Ravis Vater Alain „Shankar“ Schaller (Juan Bilbeny) scheidet als Täter aus, weil er nach Indien ausgewandert ist. Die Kommissare verfolgen eine andere Spur: Donna hatte eine Ausbildung zur „spirituellen Heilerin“ begonnen. Ihr Lehrer Pablo Guggisberg (Grégoire Gros) scheint mit Toten kommunizieren zu können und bietet der Polizei prompt seine Hilfe an...
Sieht man einmal vom „Zwischen zwei Welten“ wandelnden Medium Guggisberg ab, gibt es wenig Außergewöhnliches zum 908. „Tatort“ zu notieren: An die holprige Synchronisation der schwyzerdütschen Originalfassung hat man sich mittlerweile ja fast gewöhnt, und originelle Dialoge waren ohnehin nie ein Markenzeichen des Luzerner Krimis. Dieses Bild bestätigt sich schon in der Einleitung: „Die Frau hat drei Kinder“, sinniert Flückiger betroffen, so dass Ritschard „Die können einem über den Kopf wachsen“ erwidern und damit aussprechen darf, was sich der Zuschauer auch selbst denken kann, nachdem er in die Welt des alleinerziehenden Mordopfers hat eintauchen dürfen. Nach der klassischen Auftaktleiche reiht sich ein müdes Verhör ans nächste, und auch die einmal mehr äußerst halbherzig eingeflochtene Standpauke vom Vorgesetzten Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) darf natürlich nicht fehlen. Spannung kommt dabei ebenso wenig auf wie Atmosphäre: Alles wirkt irgendwie lethargisch, und selbst als sich die zwei Ermittler bei ihrem dritten Annäherungsversuch endlich mal auf ein „Bierli“ in der Kneipe treffen und Details aus ihrer bewegten Vergangenheit preisgeben, will das Eis zwischen den beiden einfach nicht brechen.
Zu allem Überfluss müssen sich Flückiger und Ritschard auch immer wieder bemüht streiten – die emotionale Aufgewühltheit kauft man den Kommissaren zu keinem Zeitpunkt ab. Dem Schweizer „Tatort“ fehlt es nicht nur an Herz, sondern auch an Dynamik: Selbst als Ritschard mit heimlich geschossenen Fotos einer lesbischen Liebelei (die im Schweizer „Tatort: Schmutziger Donnerstag“ erstmalig thematisiert wurde) erpresst wird, kommt kaum Schwung ins Geschehen. Ein paar deutliche Worte zum Erpresser, und schon ist die Sache wieder aus der Welt. Ohnehin müssen sich die Drehbuchautorinnen Eveline Stähelin und Josy Meier die Frage stellen, was im Jahr 2014 an einem Frauenkuss eigentlich so skandalträchtig sein soll. Auf der Zielgeraden wird es dann schließlich unfreiwillig komisch: „Mit vier habe ich gemerkt, dass es Leute gibt, die meine Mutter nicht sieht“, stellt der spirituelle Heiler Guggisberg fest, und führt die ratlosen Kommissare durch seine übernatürlichen Fähigkeiten und eine kurze Eingebung direkt zum Täter. Das ist schlichtweg hanebüchen – da nützt die berechtigte Skepsis, mit der vor allem Ritschard dem Heiler anfangs noch begegnet, am Ende herzlich wenig.
Fazit: Die Schweiz sucht weiterhin vergeblich nach einem Erfolgsrezept: Michael Schaerers „Tatort: Zwischen zwei Welten“ knüpft nahtlos an die schwachen Vorgängerfolgen aus Luzern an.