Für „Kaptn Oskar“ kam das Lob von hoher Stelle, nämlich von der deutschen Independentfilm-Ikone Klaus Lemke („Rocker“) höchstpersönlich: „Der läuft seit Tagen bei mir vor vollem Haus im Kopf – das ist electrifying!“ Gemeint ist der nach „Papa Gold“ zweite Spielfilm von Tom Lass, dem jüngeren Bruder von Jakob Lass, der wiederum mit „Love Steaks“ für einige Furore sorgte und sogar eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis einheimste. Beide Jungregisseure kommen in ihren Werken mit geringen finanziellen Mitteln aus und setzen stark auf Improvisation. Für diese Art des Filmemachens hat sich unter Bezugnahme auf die US-Mumblecore-Szene rund um Andrew Bujalski („Computer Chess“) der etwas sperrige Begriff „German Mumblecore“ eingebürgert. Er bezeichnet Filme mit viel Spontaneität, Ecken und Kanten wie die vibrierenden „Ich fühl mich Disco“ von Axel Ranisch oder eben nun „Kaptn Oskar“. Dieser etwas andere Liebesfilm erinnert wohltuend an den formidablen „Love Steaks“ und man sieht den drei merkwürdigen Hauptfiguren überaus gerne bei ihren amourösen Verstrickungen zu.
Der unbeständige Oskar (Tom Lass) hat gerade mit seiner ungezügelten Freundin Alex (Martina Schöne-Radunski) Schluss gemacht – worauf die Verlassene erstmal seine Bude in Brand steckt. Kurz darauf lernt Oskar zufällig die geheimnisvolle Masha (Amelie Kiefer) kennen, in deren Wohnung er vorübergehend einzieht. Die beiden teilen sich zwar ein Bett und schlafen kuschelnd nebeneinander ein, treffen jedoch auf Oskars Bestreben hin die Vereinbarung, dass es keine Küsse und keinen Sex zwischen ihnen geben soll. Während Oskar und Masha ihre merkwürdige und dennoch romantische Beziehung austesten, taucht immer wieder Alex auf und mischt weiter mit im Leben ihres Ex-Freundes. Aber erst als der junge Mann die Abmachung mit Masha anzweifelt und jetzt doch einen Schritt weiter gehen will, werden die Dinge richtig kompliziert…
„Kaptn Oskar“ lebt von seiner lebendigen Erzählweise mit ihren harten Schnitten, den Abblenden ins Schwarze und vielen Bildsprüngen. Die Schauspieler improvisieren ihre Szenen einschließlich der Dialoge zu großen Teilen, wodurch so etwas wie eine stilisierte Alltäglichkeit entsteht. So wie sich die Figuren gegenseitig umkreisen, anziehen und abstoßen, so bleibt auch die von Jonas Schmager („Kriegerin“) elegant geführte Handkamera stets in Bewegung und passt sich der jeweiligen Situation an. Der Stil erinnert bisweilen an die frühen Werke von Wong Kar-wai („Chungking Express“), wenngleich die Aufnahmen in „Kaptn Oskar“ etwas ruhiger und gesetzter wirken. Mit der teils extravaganten Musik (da erklingen auch schon mal Dudelsäcke) und den stilsicheren Bildern entwickelt „Kaptn Oskar“ einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann: Dass dieser Film mit viel Leidenschaft entstanden ist, das ist hier stets zu spüren. Und auch wenn bisweilen nicht allzu viel an äußerer Handlung geschieht, so steht das außergewöhnliche Liebesdreieck doch in jeder Sekunde unter Spannung.
Ein großer Pluspunkt von „Kaptn Oskar“ sind auch die drei hervorragenden Hauptdarsteller. Der schlaksige Tom Lass ruft Erinnerungen an Chris Parker aus Jim Jarmuschs Debütfilm „Permanent Vacation“ wach, wenn er ziellos und ohne eine handfeste Meinung durch sein Leben mäandert, das von Zufällen und Frauen bestimmt wird. Amelie Kiefer („Drei Zimmer/Küche/Bad“) füllt die Rolle der etwas sonderbaren Masha ebenfalls glaubwürdig aus und hält das Interesse an ihrer Figur stets wach. Als schauspielerisches Highlight des Films entpuppt sich indes Martina Schöne-Radunski, die bereits in „Frontalwatte“ von Jakob Lass und in „Papa Gold“ von Tom Lass zu sehen war. Sie überzeugt als Furie, die schon in der Eröffnungsszene mächtig auf die Kacke haut und auch im weiteren Verlauf ganz schön rabiat zur Sache geht. Und so machen die Darsteller „Kaptn Oskar“ endgültig zu einem absoluten Höhepunkt des Kinojahrs.
Fazit: Mit „Kaptn Oskar“ bringt Tom Lass frischen Wind ins deutsche Gegenwartskino und legt ein veritables Independent-Kleinod vor.