Wenn Filmemacher sich in einer historischen Dokumentation mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, besteht dabei immer die Gefahr, dass sie sich bei der filmischen Aufarbeitung des eigenen Schicksals in persönlichen Erinnerungen verlieren. Die Dokumentation „Zonenmädchen“, in der die in der DDR geborene Regisseurin Sabine Michel („Nimm dir dein Leben“) untersucht, wie sie und vier Freundinnen sich nach dem Mauerfall weiterentwickelt haben, steht dafür exemplarisch: Trotz einer interessanten Ausgangsidee und einer selbstkritischen Positionierung lässt die Regisseurin den Blick für die wirklich interessanten Aspekte ihres Films über weite Strecken vermissen.
Sabine und ihre vier Freundinnen Claudi, Claudia, Vera und Veruscha sind ein ganz besonderer Jahrgang – nämlich der letzte, der 1989 noch das DDR-Abitur gemacht hat. Nach dem Fall der Mauer müssen die fünf jungen Erwachsenen feststellen, dass sie auf die vor ihnen liegende Zukunft im wiedervereinigten Deutschland gar nicht vorbereitet wurden. Während Vera nach Paris flüchtet und dort als Deutschlehrerin arbeitet, wirft Veruscha ihre Studienpläne bald über Bord und arbeitet sich stattdessen in einem Dresdner Lokal bis zur Geschäftsführerin nach oben. Zwanzig Jahre nach der „Wende“ treffen sich die fünf Frauen wieder: Auf einer Zugfahrt von Berlin nach Paris und später zurück nach Dresden reflektieren die „Zonenmädchen“, wieviel DDR noch in ihnen steckt und wie unterschiedlich sich ihre Biografien im Laufe der Zeit entwickelt haben.
„Ich glaube, wir sind gar nicht so sehr wie Freundinnen – wir sind eher so wie Familie.“, resümiert die mehrfache Mutter Claudi auf der einleitenden Zugfahrt und bringt das Dilemma der Dokumentation damit unfreiwillig auf den Punkt. Michels Film fühlt sich oft an, als würde die Regisseurin nur ein wenig im Familienalbum blättern: Sie verwebt Gespräche von heute mit Videomaterial aus den 80er Jahren, zeigt zahlreiche Fotos aus glücklichen und weniger glücklichen Kindheitstagen und besucht die Schauplätze, an denen die „Zonenmädchen“ einst die gemeinsame Jugend verbrachten. Vor allem im Mittelteil des Films verliert die Filmemacherin dabei ihr dokumentarisches Ziel – die kritische Auseinandersetzung mit dem Aufwachsen im DDR-Regime und den daraus resultierenden Folgen für die Zukunft – aus den Augen: So erläutert sie zum Beispiel minutenlang, dass sie als Kind wegen einer schiefen Wirbelsäule ein Gipskorsett tragen musste. Karrierefrau Claudia berichtet indes ausführlich von einem traumatischen Kindheitserlebnis in ihrer Siedlung, das so auch jedem Zuschauer hätte passieren können – und das ebenfalls in keinem direkten Zusammenhang zum Aufwachsen im SED-Staat steht.
Die Erlebnisse, die Claudi & Co. vor der Kamera zu Protokoll geben, mögen für die fünf Freundinnen prägend gewesen sein – für den Zuschauer aber sind sie zu selten wirklich interessant. Im ICE-Abteil prosten sich die Frauen mit Sekt zu und lesen sich gegenseitig Briefe und Gedichte aus der Kindheit vor, nach dem Abendessen wird Rotwein über den Dächern der Stadt getrunken – zu selten bricht Michel diese omnipräsente Mädelsabend-Atmosphäre durch kontroversere Momente auf. Exemplarisch dafür steht die interessanteste Szene des Films, in der Veruscha und Claudia den Unterschied zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft diskutieren: Gerade in dem Moment, in dem es spannend wird, folgt ein Schnitt, und das erfrischende Streitgespräch ist jäh beendet. Auch andere vielversprechende Ansätze lässt Michel zu schnell fallen: So begleitet sie beispielsweise Veruscha an dem Tag mit der Kamera, an dem diese ihre Lebensgefährtin heiraten möchte. Was Homosexualität aber für eine junge Erwachsene im DDR-Alltag bedeutet hat – man denke an Markus Steins und Ringo Röseners Dokumentation „Unter Männern – Schwul in der DDR“ – wird nicht einmal im Ansatz thematisiert.
Fazit: „Zonenmädchen“ ist eine sehr persönliche, für ein größeres Publikum aber nur bedingt interessante Dokumentation – dafür verfolgt Sabine Michel ihren kritischen Ansatz einfach nicht konsequent genug.