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    Tatort: Gegen den Kopf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Gegen den Kopf
    Von Lars-Christian Daniels

    Im September 2009 schritt der posthum mit zahlreichen Ehrungen für Zivilcourage bedachte Dominik Brunner beherzt ein, als vier Schüler in einer Münchener S-Bahn von drei älteren Teenagern bedroht und attackiert wurden. Brunner stellte zwei der Angreifer auf dem S-Bahnhof Solln zur Rede und schlug einem der Täter mit der Faust ins Gesicht. Daraufhin wurde der 50-jährige brutal zusammengeschlagen und wehrlos am Boden liegend mit über zwanzig Fußtritten malträtiert – er verstarb kurz darauf. Ein tragisches Ereignis, das über Wochen die deutsche Medienlandschaft dominierte und viele großangelegte Aktionen für mehr Zivilcourage auslöste. Vier Jahre später wird auch in der Krimireihe „Tatort“ der Fall Brunner aufgearbeitet: „Gegen den Kopf“ des zweifachen Grimme-Preisträgers Stephan Wagner („Dienstreise“, „Der Fall Jakob von Metzler“) ist ein an die Schreckenstat von München angelehnter, beklemmend realistischer Hauptstadtkrimi, der pünktlich zur Bundestagswahl 2013 auch das Thema Überwachungsstaat aufgreift und erfreulicherweise nicht zum bloßen flammenden Plädoyer für Zivilcourage verkommt.  

    In einer Berliner U-Bahn kommt es in den frühen Morgenstunden zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen den alkoholisierten Teenagern Konstantin Auerbach (Jannik Schümann, „Spieltrieb“) und Achim Wozniak (Edin Hasanovic, „Das Leben ist nichts für Feiglinge“) und einem gehbehinderten Frührentner, dem die Jugendlichen seine Gehhilfe wegnehmen und 30 Euro für die Herausgabe der Krücke verlangen. Der 38-jährige Mark Haessler (Enno Kalisch), der im selben Wagen sitzt, greift im Gegensatz zu anderen Fahrgästen beherzt ein und macht ein Handyfoto der beiden Täter. Mit fatalen Folgen: Der Familienvater wird an der Station Schönleinstraße von den Jugendlichen brutal zusammengetreten und verstirbt kurze Zeit später im Krankenhaus. Die Berliner Hauptkommissare Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic) werden auf den für die Boulevardpresse hochinteressanten Todesfall angesetzt und werten zunächst die Bilder der Überwachungskameras aus. Anhand der Aufnahmen können die flüchtigen Täter zwar schnell identifiziert werden, doch den Mord selbst haben die Kameras nicht aufgezeichnet: Ein Pfeiler versperrt den Blick aufs Geschehen…

    Zu meiner Zeit hat man aufgehört zu schlagen, wenn ein Mensch am Boden lag.“, resümiert Hauptkommissar Ritter frustriert – doch „Gegen den Kopf“ ist erfreulicherweise weder das reine, zu befürchtende Sonntagabend-Plädoyer für mehr Zivilcourage noch ein verbitterter Abgesang auf die vermeintlich verkommene deutsche Jugend. Platte „Früher war alles besser“-Momente wie dieser bleiben ebenso die Ausnahme wie ausgesprochene Vorwürfe an die anderen Fahrgäste und Zeugen, die nur zugesehen und nicht selbst eingegriffen zu haben. Regisseur und Drehbuchautor Stefan Wagner, der mit „Borowski und die Frau am Fenster“ eine der spannendsten „Tatort“-Folgen der vergangenen Jahre realisierte, lässt die Moralkeule stecken und bringt zudem das Kunststück fertig, die Täterfrage trotz der eindeutigen Identifizierung der beiden Jugendlichen offen zu lassen: Schnell wird klar, dass es wie im Fall Dominik Brunner einen Haupttäter gegeben haben muss, während der andere offenbar versucht hat, seinen Kumpel von weiteren Fußtritten „Gegen den Kopf“ des Opfers abzuhalten. Aber wer?

    Auch sonst orientiert sich Wagner stark am realen Fall aus München-Solln, denn wie Brunner starb auch das „Tatort“-Opfer nicht direkt an den Folgen der Tritte, sondern an einem Herzfehler, und wie Brunner hat Familienvater Haessler zuerst ausgeteilt, bevor er einstecken musste. Wie schon im vorherigen Berliner Fadenkreuzkrimi „Machtlos“, in dem sich Ritter und Stark in den Verhörzimmern ein fesselndes Psychoduell mit dem geständigen Kindesentführer Uwe Braun (Edgar Selge) lieferten, findet auch diesmal ein Großteil der Ermittlungen in den Büroräumen des Polizeipräsidiums statt: Während ein vielköpfiges Team um den ehrgeizigen Kollegen Schott (Claudius von Stolzmann, „Kopfüber“) akribisch die Funkzellen, Gesprächsprotokolle und Videoaufzeichnungen auswertet und jeder einzelnen Person in der Nähe der Station Schönleinstraße im Nu Namen und Adresse zuordnen kann, widmen sich die Hauptkommissare nach einer knackigen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit – Stark outet sich als Ex-Demonstrant gegen Volkszählung und Überwachungsstaat – der Vernehmung der beiden Tatverdächtigen, die sich clevererweise gegenseitig beschuldigen.

    Hier liegt leider die einzige Schwäche der ansonsten erstklassig arrangierten und authentischen Geschichte, die so oder so ähnlich im Alltag jeder deutschen Großstadt hätte passieren können: Die Rekonstruktion des Tathergangs ist für das „Tatort“-erprobte Publikum ein Kinderspiel, weil die beiden Jugendlichen sich charakterlich zu stark voneinander unterscheiden und die Rollen zu klar verteilt sind. Während der kühl und abgeklärt auftretende Unternehmersohn Auerbach den teuren und aalglatten Anwalt Dr. Thomas (Simon Licht, „Stromberg“) mit zur Vernehmung bringt und die bohrenden Fragen der Ermittler lächelnd und einsilbig beantwortet, gibt sich der mehrfach vorbestrafte Problemteenager Wozniak (Ritter: „Der braucht keinen Anwalt, der braucht ein Wunder.“) anfangs bockig wie ein kleines Kind, weil er die Hoffnung auf die deutsche Justiz längst aufgegeben hat. Erst als der alleinerziehende Stark seinen gleichaltrigen Sohn erwähnt, taut der Straftäter auf und sammelt in der Folge fleißig Sympathiepunkte.

    Fazit: Sterben für eine Banalität – der Berliner „Tatort: Gegen den Kopf“ ist erschreckend nah an der Realität und lässt das Publikum mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück. Dass die Auflösung sehr vorhersehbar ausfällt, ist auch angesichts der angenehm neutralen Positionierung des Films zum Thema Überwachungsstaat zu verschmerzen.

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