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    Measure of a Man - Ein fetter Sommer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Measure of a Man - Ein fetter Sommer

    Auf den Spuren von "Stand By Me"

    Von Oliver Kube

    Body-Image-Probleme, Schönheits-Operationen bei Minderjährigen, Bullying, Mobbing, Fat-Shaming, soziale Isolation – all diese schon lange relevanten, aber derzeit eben besonders heiß diskutierten gesellschaftlichen Themen werden in „Measure Of A Man - Ein fetter Sommer“ aufgegriffen. Trotzdem gelingt es Regisseur Jim Loach, um diese eher depressiv stimmenden Punkte herum einen meist erstaunlich locker-leichten, unterhaltsamen und warmherzigen Streifen zu basteln.

    Der Sohn des legendären Autorenfilmers Ken Loach („Sorry We Missed You“) war bisher hauptsächlich im TV-Bereich tätig. So inszenierte er Episoden von Serien wie „Tin Star“, „Victoria“ oder der englischen Kult-Seifenoper „Coronation Street“. Nach dem 2010 veröffentlichten Sozialdrama „Oranges And Sunshine“ ist die tragikomische Coming-Of-Age-Story nun der zweite Kinofilm des Briten – und zugleich der erste, den er in den USA gedreht hat. Als Grundlage für das von „A Single Man“-Autor David Scearce verfasste Drehbuch diente dabei der Young-Adult-Roman „One Fat Summer“ von Robert Lipsyte. Und der ist, was angesichts seiner Aktualität wirklich erstaunt, bereits im Jahr 1977 erschienen.

    Bobby wird im Urlaub von den einheimischen Jugendlichen drangsaliert.

    Sommerferien, 1976: Dem 14-jährigen Bobby (Blake Cooper) graut es schon beim bloßen Gedanken daran, mit seinen Eltern zum familieneigenen Ferienhaus zu fahren. Denn während er es gewohnt ist, als pummeliger Nerd in der Schule ständig Opfer von Hänseleien zu werden, wird er in den Ferien von dem älteren Teenager Willie (Beau Knapp) auch immer wieder körperlich bedroht. Weder von seiner populären Schwester (Liana Liberato) noch von seinen mit sich selbst beschäftigten Eltern (Judy Greer, Luke Wilson) kann Bobby in dieser Situation Hilfe erwarten. Als Bobby einen Job als Gartenhilfe des exzentrischen Dr. Kahn (Donald Sutherland) annimmt, scheint auch der ihn zunächst nur zu schikanieren und auszunutzen. Doch während der Arbeit mit einer Heckenschere und einem besonders störrischen Rasenmäher fasst Bobby endlich den Mut, für sich selbst zu kämpfen und sich nicht mehr wehrlos von jedermann unterbuttern zu lassen …

    Die dramatischste und intensivste Szene von „Measure Of A Man“, wenn Willie und zwei seiner Kumpane den traurigen Helden besonders fies drangsalieren, erinnert – auch wegen der ländlichen Umgebung und der retrohaften Inszenierung – stark an einen ähnlichen Moment aus „Beim Sterben ist jeder der Erste“. Loach treibt es hier soweit auf die Spitze, dass der Zuschauer schon damit rechnet, die eben noch so harmlos, bittersüß und melancholisch begonnene Geschichte könnte ähnlich eskalieren wie John Boormans Meisterwerk. Aber „Measure Of A Man“ ist kein düsterer Thriller, wie im weiteren Verlauf schon bald offenbar wird.

    In Dr. Kahn findet Bobby einen strengen, aber hilfreichen Mentor.

    Die neben Bobby wichtigste Figur ist der von Donald Sutherland („Die Tribute von Panem“) gewohnt souverän dargestellte Dr. Kahn. Der ältere Herr hat nicht gerade viele Dialoge und ist nicht wirklich oft im Bild – sein Einfluss auf den Protagonisten ist allerdings enorm. Dass Dr. Kahn selbst kein einfaches Leben gehabt hat, wird nur angedeutet. So wird nie über die KZ-Tätowierung auf seinem Unterarm gesprochen, die für Bobby sowie das Publikum nur wenige Sekunden lang zu sehen ist. Manch einer wird diese vermutlich nicht einmal wahrnehmen. Schließlich geht es nicht wirklich um Kahns Schicksal, das er offensichtlich gut gemeistert hat. Allerdings wird so klar gemacht, dass er sich als Mentor eignet. Kahn nimmt den Teenager allerdings nicht plump an die Hand und erklärt ihm die Welt. Vielmehr stupst und schiebt er ihn sanft, für diesen kaum merkbar, an einen Punkt, an dem der Junge fast eigenständig seinen Wert als Individuum zu erkennen beginnt und so fähig wird, sich selbst zu lieben und zu schätzen. Und zwar so wie er ist; nicht wie er glaubt, für andere sein zu müssen.

    Gelegentlich wirkt die mit meist eher irrelevanten Nebenhandlungen vollgestopfte Story zwar etwas konstruiert. Sie wird aufgrund ihres positiven Kerns aber Fans von „Stand By Me - Das Geheimnis eines Sommers“ oder auch „Vielleicht lieber morgen“ dennoch schnell ans Herz wachsen. Zumal das Finale sich der im restlichen Film vermittelten Stimmung anpasst, ganz ohne große Worte und ohne Feuerwerk der Gefühle. Vielmehr bildet die wunderbar simple Sequenz von subtilen, kleinen Momenten, die uns Loach zum Abschluss präsentiert, ein gelungenes, völlig organisch wirkendes Ende.

    Fazit: Ein liebenswerter Coming-Of-Age-Film mit lockerem Retro-Feeling und einer positiven und nicht zu dick aufgetragenen Botschaft.

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