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    Tatort: Borowski und der Engel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Tatort: Borowski und der Engel
    Von Lars-Christian Daniels

    Das Beste kommt zum Schluss: So heißt nicht nur Rob Reiners Tragikomödie mit Jack Nicholson und Morgan Freeman in Deutschland, so könnte man auch die Bilanz des „Tatort“-Jahres 2013 treffend untertiteln. Wie immer gab es bei insgesamt 36 ausgestrahlten neuen Folgen der öffentlich-rechtlichen Krimireihe Highlights, Ausfälle und viel Mittelmaß – doch wie 2012, als die Münchner Kommissare Batic und Leitmayr das Jahr mit dem kultverdächtigen Sidekick Gisbert (Fabian Hinrichs) im „Tatort: Der tiefe Schlaf“ hochkarätig abrundeten, ist auch 2013 der letzte „Tatort“ des Jahres der beste. Das kommt nicht von ungefähr: Drehbuchautor Sascha Arango, der in der Vergangenheit unter anderem die Skripts zu erstklassigen Fadenkreuzkrimis wie „Der kalte Tod“ oder „Borowski und die Frau am Fenster“ schrieb, bekam vom NDR auch für Andreas Kleinerts Kieler „Tatort: Borowski und der Engel“ wieder große Freiheiten für seine Geschichte eingeräumt und zahlt dieses Vertrauen eindrucksvoll zurück. Arango konzipiert einen herausragenden, bis zur letzten Minute fesselnden und bärenstark besetzten Sonntagabendkrimi, der mit mehreren eisernen „Tatort“-Prinzipien bricht und die reiheninterne Spitzenposition des Krimis aus der Fördestadt – der seit Jahren nicht mehr enttäuscht hat – in bemerkenswerter Manier zementiert.

    Die Altenpflegerin Sabrina Dobisch (Lavinia Wilson), die bei Pflegebedürftigen auf Hausbesuch geht, beobachtet aus dem Fenster ihrer Wohnung, wie eine Katze überfahren wird. Die Katzenbesitzerin bricht in Tränen aus, während ihr ihre Mitmenschen am Unfallort tröstende Worte spenden. Soviel Aufmerksamkeit wird Dobisch nur selten zuteil: Die junge Frau lebt vereinsamt und geht fast nur zur Arbeit vor die Tür. Als einer der von ihr betreuten Senioren verstirbt, steckt sie kurzerhand seine schwarze Katze in ihre Handtasche, um sie auf offener Straße freizulassen, einen Verkehrsunfall zu provozieren und so als vermeintlich Trauernde erneut im Mittelpunkt zu stehen. Doch ihr Plan geht schief: Die Autofahrerin Doris Ackermann (Leslie Malton) kann dem Tier ausweichen und rast stattdessen in die Fensterfront eines Blumengeschäfts, in dem Bankierssohn Christian von Meeren (Martin Bruchmann) gerade einen Blumenstrauß kauft und vom Fahrzeug erfasst wird. Gedankenschnell begibt sich Dobisch an die einsturzgefährdete Unglücksstelle, wo von Meeren in ihren Armen verstirbt. Als sie von den Kieler Hauptkommissaren Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibell Kekilli) zum Tathergang befragt wird, spielt sie das Unschuldslamm – und sagt aus, die schwerverletzte Autofahrerin sei absichtlich auf den Verstorbenen zugerast. Schon bald wird sie von der Lokalpresse für ihren Mut gefeiert…     

    Wenn das „Tatort“-Drehbuch aus der Feder von Sascha Arango stammt, ist zweierlei gewiss: Die erzählte Geschichte ist nicht nur hochkarätig sondern auch außergewöhnlich. Wie bereits 1996 in „Der kalte Tod“, in dem Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in letzter Sekunde von ihrem neuen Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) vom Seziertisch eines Serienmörders befreit werden musste, oder 2011 in „Borowski und die Frau am Fenster“, in dem Sibell Kekilli ihren Einstand als Kommissarin feierte, verzichtet Arango auch diesmal auf das gewohnte Whodunit-Prinzip und nimmt die Antwort auf die Täterfrage vorweg. Dobisch ist zwar zunächst nur die indirekte Täterin, begeht in der Folge aber einen weiteren Mord, der sie endgültig zur unberechenbaren Kriminellen macht, der so schnell wie möglich das Handwerk gelegt werden muss. Diese Abkehr vom klassischen Miträtseln ist eigenwillig, erwies sich in der Vergangenheit aber schon häufiger als die prickelndere Variante. Schließlich ist die Frage, ob es den Kieler Kommissaren gelingt, der perfide mordenden Altenpflegerin ihre Taten nachzuweisen, mindestens genauso spannend! Während Brandt den Aussagen der vermeintlichen Ersthelferin Glauben schenkt, hegt Borowski in bester „Columbo“-Manier Zweifel am angeblichen Tathergang, spielt aber den Ahnungslosen. Doch reichen die Beweise?

    Bis zur letzten Minute bleibt offen, ob es dem sympathischen, auch diesmal wieder prächtig harmonierenden Ermittlerduo aus der Fördestadt gelingt, die vereinsamte Frau zu überführen – und nicht nur die sorgfältig vorbereitete Schlusspointe macht deutlich, was der auch in den sozialen Netzwerken vielgescholtene „Tatort“ noch immer zu leisten imstande ist. Neben dem Drehbuch haben auch die Schauspieler durch die Bank allerhöchstes Kinoniveau: Allein Grimme-Preis-Trägerin Lavinia Wilson („Frau Böhm sagt Nein“), die auch in der mit Spannung erwarteten Verfilmung des Charlotte Roche-Romans „Schoßgebete“ die Hauptrolle inne hat und hier einen der besten Auftritte ihrer Karriere hinlegt, ist das Einschalten wert. Wilson stiehlt Szene um Szene und brilliert als eiskalter Engel, der sich binnen Sekunden vom bedauernswerten Mauerblümchen zum diabolisch-berechnenden Ekel verwandelt. Auch Axel Milberg, der mit „Borowski und der Engel“ sein zehnjähriges „Tatort“-Jubiläum feiert, scheint den Spaß an seiner Rolle noch lange nicht verloren zu haben und gibt seinen Ermittler herrlich spröde und doch nahbar: Nachdem sich Borowski zuletzt in seine dänische Kollegin Einigsen (Lisa Werlinder, „Borowski und der brennende Mann“) verguckte, flirtet er diesmal mit der tatverdächtigen Ackermann, wird vom Schicksal aber jäh ausgebremst.

    Der 892. „Tatort“ lebt aber nicht nur von seinem erstklassigen Drehbuch und seinen starken Darstellern, zu denen auch „Sesamstraße“-Legende Horst Janson („Steiner – Das Eiserne Kreuz“) und Victoria Trautmannsdorff („Hannah Arendt“) als schwerreiches Bankiers-Ehepaar von Meeren zählen, sondern auch von den gewohnten Kieler Stärken: Die Mischung aus Spannung und Entspannung ist perfekt, die Dialoge sind gespickt mit subtilem Humor, plumpe Gags stehen auf dem Index und die augenzwinkernden Zwischentöne bringen den Kriminalfall nie vom Kurs ab. Einmal mehr geht der größte Lacher des Films auf das Konto von Kriminalrat Schladitz (Thomas Kügel), der gedankenverloren mit einer geladenen Schusswaffe hantiert und seine verdatterte Kollegin im Nebenzimmer fast vom Bürostuhl ballert. Zudem halten Arango und Regisseur Andreas Kleinert („Freischwimmer“) für das Schlussdrittel einen großartigen, grotesken Wendepunkt in der Hinterhand, bei dem der sich in Sicherheit wiegenden Mörderin den Boden unter den Füßen weggezogen wird und die Karten im Katz-und-Maus-Spiel plötzlich neu verteilt werden. Es ist eben dieses gekonnte, aber nie substanzlose Spiel mit den etablierten „Tatort“-Prinzipien, die „Borowski und der Engel“ so außergewöhnlich und zu einem absoluten Pflichttermin für jeden „Tatort“-Fan machen – und auch für solche, die es werden wollen.

    Fazit: „Borowski und der Engel“ ist der beste „Tatort“ des Jahres 2013 – und der beste Beweis dafür, dass gute Autoren und Regisseure in der Krimireihe auch nach über vierzig Jahren noch originelle Geschichten erzählen können.

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