Ein Kino-Publikum mit aufpeitschenden Reden auf ein großes Finale einzustimmen, das ist ein gängiger Erzählkniff. Der Monolog als narratives Hauptinstrument jedoch ist eine weitaus kompliziertere Angelegenheit, mit der sich seit je her eher im Theater denn im Kino auseinander gesetzt wird. Was den deutschen Bühnen Patrick Süskinds „Kontrabass" ist, das ist den Italienern ihr „Novecento". Der Bühnenmonolog von Alessandro Baricco avancierte 1994 innerhalb kürzester Zeit zu einem der beliebtesten Stücke auf italienischen Brettern. Klar, dass ein solcher Hit nicht lange auf seine Verfilmung warten musste. Anstatt sich an der formalen Strenge des Theatertextes zu orientieren, hat Giuseppe Tornatore, der Meister des italienischen Melodrams, bei seiner Adaption des Ein-Mann-Stückes lieber aus den Vollen geschöpft und mit der „Legende des Ozeanpianisten" von 1999 ein Larger-Than-Life-Drama gezimmert. Mehr Konzentration aufs Wesentliche hätte dem über die Maßen prunkvollen Film allerdings gut getan.
Bis zu fünf Mal im Jahr überquert die „Virginian" den Atlantik und befördert Immigranten aus der alten in die neue Welt. Im Jahre 1900 wird ein Neugeborenes an Bord zurückgelassen. Um dem Kleinen das harte Leben in einem Waisenhaus zu ersparen, adoptiert ihn der einfach gestrickte Heizer Danny (Bill Nunn) und zieht den kurzerhand auf den Namen 1900 getauften Jungen zwischen Kohlebergen, Motoren und Öfen unter Deck groß. Nach Dannys Tod wächst 1900 zu einem musikalischen Genie heran und begeistert die Passagiere mit virtuosem Klavierspiel. Im Jahre 1926 schließlich steht für 1900 (als Erwachsener: Tim Roth) eine Entscheidung an: Nicht nur der Trompeter Max Tooney (Pruitt Taylor Vince) redet ihm ins Gewissen, die Welt jenseits der Reling zu entdecken. Musikproduzenten wollen ihn unter Vertrag nehmen und auch die schüchterne Liebe zu einer ungarischen Passagierin (Mélanie Thierry) bringt ihm die Verlockungen des Landlebens nahe. Als die „Virginian" im Krieg zum Lazarettschiff umfunktioniert wird, spitzt sich die Lage für 1900 dramatisch zu...
Erzählt wird diese Geschichte von Max Tooney, der Jahre später im Gespräch mit einem Pfandleiher über seine Zeit auf der „Virginian" sinniert. In verklärten Rückblicken beschwört Tornatore eine malerische Traumatmosphäre herauf, während nie so ganz klar ist, ob Max' Erinnerungen der Wahrheit entsprechen. Dabei nutzt Tornatore jede Gelegenheit, um in artifiziellen Interieurs zu schwelgen, für die sich Ausstatter Bruna Cesari wahrlich auf die Schulter klopfen kann. Das wirkt jedoch bereits nach kurzer Zeit recht selbstzweckhaft und steht selten im Dienst des Bühnentextes. Gleiches gilt auch für Istvan Szabos Stamm-Kameramann Lajos Koltai, der hier eine akrobatische Fahrt nach der anderen orchestriert. Damit kommt es immer wieder zu Brüchen zwischen Form und Inhalt, so schön und opulent der Film auch sein mag.
Immer wieder droht Tornatores Melodramatik ins unfreiwillig Komische zu kippen – dafür sorgt bezeiten alleine schon die Musik von Ennio Morricone, die zwar schwungvoll komponiert ist, aber zweifelsfrei auch zu den sentimentalsten Werken des Maestros zählt. Hier und da meint man Ähnlichkeiten zu Morricones „Es war einmal in Amerika"-Soundtrack zu erlauschen. Diese mutmaßlich unbewussten Musik-Referenzen stehen stellvertretend für den ganzen Film, der so dringlich auf Meisterwerk gebürstet ist und doch eher als gutgemeinte Hommage gelten muss. Mehr als einmal wirkt „Die Legende vom Ozeanpianisten", als hätte sich Tornatore zu tief vor „Fellinis Schiff der Träume" verbeugt. Dabei gelingen viele bezaubernde Filmaugenblicke, etwa der starke Prolog, in dem Max von der Ankunft der Immigranten im New Yorker Hafen erzählt. Zu einem stimmigen Ganzen hat Tornatore seine beeindruckenden Szenen jedoch nicht zusammengefügt.
Sehr früh ist 1900s innerer Konflikt etabliert, der eigentliche Plot bewegt sich dann bloß in Trippelschritten vorwärts. Schon in der kurzen deutschen Schnittfassung von zwei Stunden fühlt sich „Die Legende vom Ozeanpianisten" ungeheuer lang an. Das liegt auch an Tim Roth, der zu jener Zeit in eher kleinen, persönlichen Dramen besetzt wurde und hier – umzingelt von monumentalen Szenenbildern – reichlich verloren wirkt. Der restlichen Besetzung bleibt oft nichts anderes übrig, als laut gegen den Prunk anzuspielen. Dabei wird chargiert, was das Zeug hält. Mit all diesen großen Gesten kommt 1900s eigentlich so intimes Drama nicht zur Entfaltung. Und so bleibt der Film trotz Tornatores prächtiger Bilderwelt frustrierend unzugänglich.
Fazit: Kino muss mehr sein als die Summe einzelner Teile, muss mehr können, als bloß sich selbst gefallen. Guiseppe Tornatores „Die Legende vom Ozeanpianisten" ist ein inszenatorischer Kraftakt, ausgerechnet Dramatik und Dramaturgie aber lassen bei dieser Theateradaption kalt.