Für ihren Kurzfilm „Der Neue“ erhielt die in Los Angeles und Dublin lebende Regisseurin Steph Green etliche Festivalpreise, darunter eine Oscarnominierung. Ihr erster abendfüllender Spielfilm kommt nun mit dem etwas umständlichen deutschen Verleihtitel „Voll und ganz und mittendrin“ (im Original viel treffender „Run & Jump“) in die deutschen Kinos. Entgegen der Assoziationen, die der deutsche Titel weckt, hat man es hier nicht mit einer handelsüblichen romantischen Komödie zu tun, sondern mit einem tragikomischen Independentfilm. Green inszeniert kein sentimentales Gute-Laune-Drama voller Klischees, sondern ein unaufgeregtes Beziehungsdrama mit vielen Zwischentönen und sehenswerten Darstellern.
Seit einem Schlaganfall leidet der junge Familienvater Conor (Edward MacLiam) unter Amnesie und legt die Verhaltensweisen eines kleinen Jungen an den Tag. Nach fünf Monaten im Krankenhaus kehrt der geistig verwirrte Mann zu seiner Frau Vanetia (Maxine Peake) und den beiden Kindern zurück, die in einem kleinen Haus in einer ländlichen Region Irlands leben. Der amerikanische Neuropsychologe Ted Fielding (Will Forte) zieht vorübergehend bei der Familie ein, um an einer Langzeitstudie über Conors Krankheitsverlauf zu arbeiten. Mit einer Videokamera dokumentiert Ted die Wiedereingliederung des Patienten in den Familienalltag, doch Conor macht kaum Fortschritte und zieht sich meist in seine Werkstatt zurück, um Holzarbeiten ohne praktischen Nutzen zu gestalten. Im Verlauf seiner Beobachtungen verliert Ted immer mehr seine wissenschaftliche Objektivität und entwickelt romantische Gefühle für Vanetia. Lenny (Brendan Morris), der Sohn der Familie, befindet sich derweil in der Pubertät und hat ganz eigene Sorgen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die von Maxine Peake („Yorkshire Killer 1980“) überzeugend gespielte Vanetia. Nach der Erkrankung ihres Mannes muss sie nun den Alltag der Familie alleine stemmen – gewissermaßen mit einem dritten Kind. Trotz aller Schwierigkeiten verliert sie dennoch nie die Hoffnung auf Besserung. Ihre Beziehung zu Dr. Fielding – den der als Comedian in der TV-Show „Saturday Night Live“ bekannte Will Forte nicht minder überzeugend spielt – ist dabei das in feinen Nuancen erzählte Herzstück des Films. Zunächst erscheint der Amerikaner als Fremdkörper und Eindringling, der selbst emotional intime Momente ohne sichtbare Anteilnahme mit seiner Kamera filmt, um anschließend sachliche Berichte in seinen Laptop zu tippen. Auf subtile Weise verändert sich jedoch seine Stellung innerhalb der Familie. Dass Regisseurin Steph Green dabei auf allzu eindeutige Szenen verzichtet und vielmehr mit kleinen Gesten, zwischen den Zeilen erzählt, verhindert, dass es zu kitschig wird.
Trotz der im Kern dramatischen Erzählung ist „Voll und ganz und mittendrin“ im Grunde ein hoffnungsvolles Plädoyer dafür, auch nach heftigen Schicksalsschlägen nie die Zuversicht zu verlieren. Die heimelige Gitarren- und Popmusik und die oft sonnigen Bilder der irischen Landschaft verstärken zusätzlich die sonnige Grundhaltung. In vielen Nahaufnahmen und kleinen, wahrhaftigen Momenten bleibt Steph Green immer auf Augenhöhe mit ihren Figuren, deren Konflikte stets nachvollziehbar bleiben. Dass der besinnlich erzählte Film bisweilen doch in seichtere Wohlfühl-Gefilde abdriftet und verschiedene mögliche Problemfelder nicht ausgearbeitet werden, kann diesem charmanten Independentfilm leicht verziehen werden.
Fazit: Der Filmemacherin Steph Green gelingt mit ihrem Spielfilmdebüt „Voll und ganz und mittendrin“ ein mitfühlendes Beziehungsdrama, das mit seinen glaubwürdigen Figuren behutsam auf Tuchfühlung geht.