Werner Herzog („Die Höhle der vergessenen Träume“, „Begegnungen am Ende der Welt“) beschrieb seine besondere Herangehensweise einmal als Suche nach der „Ekstatischen Wahrheit.“ Um der Essenz der Dinge nahe zu kommen, sei es legitim, ja sogar notwendig, das Dokumentarische mit Fiktivem zu überhöhen. Der junge polnische Regisseur Marcin Malaszczak folgt in seinem Langfilmdebüt „Sieniawka“ der Logik Herzogs und reichert eine melancholische Betrachtung des polnischen Städtchens Sieniawka mit fiktiven Elementen an. Das Ergebnis ist ein assoziativer Reigen, der meist auf interessante Weise Bezüge herstellt, bisweilen aber auch etwas enigmatisch bleibt.
Im südpolnischen Städtchen Sieniawka, ganz in der Nähe zur deutschen und tschechischen Grenze, hat Marcin Malaszczak Teile seiner Jugend verbracht. Zentrum des Ortes ist ein Krankenhaus für die Behandlung von Geisteskranken, Alkoholiker und Patientin mit Nervenstörungen, eine Institution also, die früher einfach abwertend als „Irrenanstalt“ bezeichnet wurde. Umgeben ist der Ort von Tagebauten, landschaftlicher Einöde und dem Verfall einer Region, die von den Entwicklungen eines Landes weitestgehend abgeschnitten ist. Diese wie aus der Zeit gefallene Welt besucht der Kosmonaut Stefan, der mit seinem verwitterten Raumanzug durch die Gegend streift und den neugierigen Blick von Außen repräsentiert.
Dokumentarfilme über spezifische Orte leben meist vom Blick eines Außenstehenden, der mit Neugier die Besonderheiten einer abgeschlossenen Gemeinschaft beobachtet. Diesen Blick überhöht Marcin Malaszczak noch zusätzlich, in dem er einen Außerirdischen imaginiert, für den der Besuch auf der Erde ohnehin schon besonders ist. Ein Konstrukt, das deutlich an Herzogs Filme „Fata Morgana“ und „The Wild Blue Yonder“ erinnert, in denen der deutsche Regisseur reale Dokumentaraufnahmen durch den imaginierten Besuch eines Außerirdischen überhöhte. Eine solche Figur betrachtet nun auch in Malaszczak „Sieniawka“ die spezielle Welt des postkommunistischen Verfalls, beobachtet Männer, die der Partei nachtrauern, sozialistische Gebäude, die verwittern, eine Region, die den Anschluss an die kapitalistischen Entwicklungen verloren hat.
Durch diesen Blick, der zu Beginn mit wenigen Einstellungen etabliert wird, in denen der Kosmonaut in seinem auch schon etwas heruntergekommenen Raumanzug durch die Landschaft streift, gelingt es Malaszczak das banale ungewöhnlich erscheinen zu lassen. Vor allem aber ermöglicht es ihm, Realität und Fiktion zu verschmelzen, nicht einfach nur tatsächlich dokumentarische Aufnahmen zu verwenden (auch wenn diese den Großteil des Films ausmachen), sondern auch Traumsequenzen und surreale Bilder.
Was dabei herauskommt ist weniger eine klassische Dokumentation, als der Versuch des Regisseurs, an die Stätte seiner Kindheit zurückzukehren, an Orte, in denen seine alte polnische Großmutter einst wohnte, an Orte, an denen er gespielt hat und Abenteuer erlebte. Oft gelingen Malaszczak dabei stimmungsvolle Bilder, in denen sich dokumentarische Aufnahmen durch den Filter des imaginierten Blicks eines Außerirdischen zu einer melancholischen Betrachtung formen. Manchmal zwar etwas mäandernd, ist „Sieniawka“ fraglos ein ungewöhnlicher, bemerkenswerter Dokumentarfilm.
Fazit: In seinem Langfilmdebüt „Sieniawka“ vermischt der polnische Regisseur Marcin Malaszczak dokumentarische Aufnahmen mit fiktiven Elementen und schafft damit eine evokative, melancholische Betrachtung des postkommunistischen Verfalls.