Unter dem Motto „Spiel für mich Klavier und ich sag Dir wer Du bist“ verknüpft die ukrainische Konzertpianistin Alena Cherny alle Bereiche des Lebens mit ihrem Instrument. Regisseur Christian Labhart, der sich in „Zum Abschied Mozart“ schon einmal dem Thema Musik gewidmet hat, zeichnet in „Appassionata“ auf sensible Weise das Portrait einer Frau, die mit dem Klavierspiel sowohl Freude als auch Schmerz verbindet. Dabei gelingt es ihm, über die dokumentarische Beschreibung seiner Protagonistin hinauszugehen und seine Künstlerbiographie um eine emotionale Komponente zu erweitern.
Die Konzertpianistin Alena Cherny lebt zwar mit ihrer Tochter in der Schweiz, fühlt jedoch eine tiefe Verbundenheit gegenüber ihrer ukrainischen Heimat, die mit positiven wie negativen Gefühlen verbunden ist. Diese Widersprüchlichkeit deutet Regisseur Christian Labhart immer wieder an: Er begleitet die Pianistin bei einer Reise zum Ort ihrer Kindheit, wo Cherny der dortigen Musikschule einen Flügel spendet. Dabei passiert sie Kiew, die Stadt, in der sie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erlebte, sowie ihr Musikinternat, in dem sie als junges Mädchen an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit gestoßen ist. Am Ende stehen die Begegnung mit ihren Eltern und die Frage, ob dieser harte Weg für Alena wirklich der richtige war.
Die Wäsche bügelnd lacht Alena Cherny in die Kamera. Ob der Regisseur an dieser Stelle vielleicht gleich auch ein Partnergesuch aufnehmen wolle, fragt sie. Indem sie Christian Labhart duzt und mit dieser Frage einen so ehrlichen Einblick in ihre Lebenssituation gibt, rückt die Protagonistin auch dem Zuschauer nahe, der das Gefühl erhält, unmittelbar mit Alena Cherny zu kommunizieren. Authentisch und natürlich wirkt die Pianistin und gewinnt damit umgehend die Sympathie des Zuschauers.
Ihre Reise in die eigene Vergangenheit gibt dem Film seine Struktur: Während sich der Anfang, vor ihrem Aufbruch in die Ukraine ein wenig in die Länge zieht, nimmt der Film mit ihrer Ankunft in Kiew Tempo auf. Je näher die Protagonistin ihrem Heimatdorf Romny kommt, desto intensiver werden ihre Emotionen, doch bei aller Nähe wird Labharts Blick auf seine Protagonistin niemals voyeuristisch. Wenn Alena im ehemaligen Internat von ihren Gefühlen übermannt wird, ist nur ihr Weinen zu hören, Cherny dagegen nicht zu sehen. Einmal bittet Cherny während eines Gesprächs mit ihren Eltern gar darum, die Szene verlassen zu dürfen. In diesen Momenten lässt Labhart seinen Arbeitsprozess transparent werden und verleiht seinem Film dadurch besondere Authentizität.
Doch „Appassionata“ ist nicht nur ein Film über die Liebe zur Musik. Im Zuge der Reise in die Vergangenheit setzt sich Alena Cherny mit ihrem Leben als Emigrantin ebenso auseinander wie mit dem Kommunismus. Ganz besonders beschäftigt sie aber das Verhältnis zu ihren Eltern, deren Entscheidung, sie als Neunjährige in das streng geführte Internat abzugeben, sie noch immer mit gemischten Gefühlen betrachtet. So wirft „Appassionata“ auch die Frage nach dem richtigen Umgang mit kindlichen Talenten auf.
Fazit: Christian Labharts setzt in seiner Dokumentation „Appassionata“ zwar ein grundsätzliches Interesse an klassischer Musik voraus, doch die Authentizität und Emotionalität der Protagonistin haben das Potential, ihre facettenreiche Geschichte auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.