Aus einer ausweglosen Situation ohne Arbeit und Perspektiven herauszukommen, wird je nach Epoche und geografischer Richtung „Auswandern“, „Flucht“ oder „Arbeitsmigration“ genannt. Viele Geschichten gibt es über die Migrationsströme von Europa nach Amerika und über die sogenannten Gastarbeiter, die aus Südosteuropa nach Deutschland kamen. Dass um das Jahr 1950 einige hundert Deutsche, meist Frauen, nach Island gingen, weil sie sich dort ein besseres Leben als im Nachkriegsdeutschland erhofften, ist dagegen kaum bekannt. In ihrem Debütfilm porträtiert Heike Fink sechs dieser Frauen und lotet auf einfühlsame Weise Schicksale und Erfahrungen aus.
Anfang der 1950er Jahre wanderten einige hundert Frauen aus Deutschland auf der Suche nach Arbeit und einer besseren Zukunft nach Island aus. Dort wurden sie als Arbeitskräfte auf dem Land erwartet und auch als zukünftige Ehefrauen der Bauern. Nicht allen ist es gut ergangen, doch nach über 60 Jahren ist die einst unbekannte Fremde ihre Heimat geworden. Sechs dieser Frauen erinnern sich an ihre Ankunft und daran wie sie sich einlebten: Ob nach sechs Wochen glücklich verliebt oder bedrängt vom Arbeitgeber. Im hohen Alter – alle Frauen sind weit über 80 – geben sie Einblicke in ihre Erinnerungen, Sorgen und Erlebnisse.
Wie hätte das Leben verlaufen können, wenn es etwas anders gekommen wäre? Diese Frage beantwortet eine der Protagonistinnen so: Ob sie ihren Mann noch mal heiraten würde, weiß sie nicht, eventuell wäre sie ja nie nach Island gekommen. Wenn sie nämlich in Deutschland das hätte lernen können, was ihr Wunsch gewesen wäre. Aber die Zeiten erlaubten es nicht. Nicht zuletzt unendlich mutig wirken diese Frauen, die meist alleine und zum Teil gegen den Willen ihrer Familien auf eine weit entfernte, baumlose Insel gezogen sind.
Die Erwartungen der Isländer waren dagegen klar auf zwei Dinge konzentriert: Die Frauen sollten gute Arbeitskräfte und geeignete Ehefrauen abgeben. So musste eine der Frauen erleben, dass sie dem Wunsch der Gutsfrau, der sie zugeteilt war, nicht entsprach: Sie wirkte zu jung und nicht kräftig genug. Eine andere berichtet, dass sie sich bereits in der ersten Nacht der isländischen Männer erwehren mussten, die einfach in die Gemeinschaftsunterkunft eindrangen. Und eine dritte musste nach einem Wechsel des Arbeitgebers feststellen: „Haushälterin auf Island heißt: auch ins Bett.“ Die Situation der Frauen, die in dem dünn besiedelten Land keineswegs gemeinsam unterkamen, sondern weit verstreut und ohne Kontakt zu den anderen Deutschen verteilt wurden, wird in den Erzählungen lebendig und nachvollziehbar.
Tiefe Einblicke gibt „Eisheimat“ in Geschichten, die bislang kaum erzählt wurden, an Schwierigkeiten unterschiedlichster Art: Verständigungsprobleme in der Fremde, harte Arbeit, anfängliches Heimweh. Eine unverheiratete Schwangere will sich nicht die Blöße geben und zu ihren Eltern nach Deutschland zurückzukehren, eine andere erträgt den alkoholkranken Mann – der Kinder wegen. Doch die viele Arbeit wird auch positiv kommentiert, eine der Frauen sagt, sie sei schließlich „nach Island gekommen, um zu arbeiten, nicht um zu faulenzen“. Und schließlich gibt es auch schöne Momente, wenn eine der Damen von ihrem lebenslangen Faible für Nagellack und Schminksachen erzählt und über ihren Mann sagt: „Gesehen, geliebt, zusammen geblieben.“
Auch wenn der Film zum größten Teil aus Talking Heads besteht – diesen Frauen beim Erinnern und Erzählen zuzusehen ist eine wahre Freude, zumal ihre Berichte alles andere als weinerlich sind: Ohne Zorn oder Bitterkeit erzählen die über 80jährigen auf emotionale Weise von ihrem Leben, unterbrochen nur von malerischen Landschaftsaufnahmen: Pferde, Fjorde und vorbeiziehende Wolken, von dezenter Musik untermalt.
Fazit: „Eisheimat“ ist ein ruhiger Film über Frauen, die vor über 60 Jahren großen Mut bewiesen, um in einem fremden Land eine Zukunft aufzubauen. Nun blicken sie zurück und berichten, wie ihnen dies trotz unerwarteter Schwierigkeiten gelang.