„Gemma Bovery“ ist die Adaption der gleichnamigen britischen Graphic Novel von Posy Simmonds, inszeniert von der Französin Anne Fontaine. Im Film sind dann auch die sehr unterschiedlichen Einflüsse aus Frankreich und Großbritannien spürbar. Das Ergebnis ist ein sinnliches, geistreiches und pfiffiges Vergnügen. Im Verein mit ihren wunderbaren Darstellern Gemma Arterton und Fabrice Luchini widmet sich Anne Fontaine in der Culture-Clash-Tragikomödie einem Thema, mit dem sie sich gut auskennt: dem Leben in der Vorstellung.
Martin Joubert (Fabrice Luchini), verheiratet und Vater eines halbwüchsigen Sohnes, betreibt in einem Dorf in der französischen Normandie eine ererbte Bäckerei. Seinen akademischen Verlag in Paris hat er dafür frustriert aufgegeben, aber die Liebe zur Literatur ist geblieben. Eines Tages zieht ein englisches Restauratoren-Ehepaar namens Gemma (Gemma Arterton) und Charlie Bovery (Jason Flemying) in das Haus auf der anderen Straßenseite. Martin ist sich sicher: Hier wird Weltliteratur Wirklichkeit, hier wird sich der tragische Ehe- und Liebesroman „Madame Bovary“ vollziehen. Denn die Namensähnlichkeit zwischen Charlie und Gemma Bovery und Gustave Flauberts Figuren Charles und Emma Bovary kann für ihn kein Zufall, sondern nur Schicksal sein. Martin wird zum Voyeur, der die Affären Gemmas mit dem Adelsspross Hervé de Bressigny (Niels Schneider) und ihrem Exfreund Patrick (Mel Raido) genau beobachtet und schließlich sogar heimlich manipuliert. Zerknirscht stellt er gleichzeitig fest, dass Gemma sich ihm gegenüber gleichgültig verhält. Das kann nur zur Katastrophe führen…
Schon Posy Simmonds Comicvorlage ist mehr als überdeutlich von Gustave Flauberts Literaturklassiker "Madame Bovary" beeinflusst – quasi eine ironische Plünderung des Vorbilds. Diese hinterlässt allerdings ein paar Unvollkommenheiten, die nun auch in der Verfilmung von Anne Fontaine und ihrem Co-Autor Pascal Bonitzer („Die Herzogin von Langeais“, „Die schöne Querulantin“) zu bemerken sind. Warum Gemma von ihrem Ehemann sexuell frustriert sein soll und sich nach anderen Gespielen umsieht, wird hier im Gegensatz zum übergroßen Vorbild nicht ganz deutlich. Schließlich sind Gemma und Charlie im Gegensatz zu ihren literarischen Vorbildern Emma und Charles ständig zusammen und kommen finanziell ganz gut zurecht. Gerade das Ende von „Gemma Bovery“ kommt zudem überraschend schockierend daher und will nicht ganz zu vorherigen charmanten Erzählweise passen, was auch durch das platte, cartoonhafte Schlussbild ganz und gar nicht abgemildert wird.
Dass „Gemma Bovery“ trotz dieser Schwächen insgesamt aber höchst unterhaltsam ist, ist vor allem der ideal gecasteten Besetzung zu verdanken. Fabrice Luchini verkörpert perfekt den verhinderten Liebhaber. Neurotisch kann er sein Begehren nur durch Stellvertreter erfüllen lassen. Wie bereits in dem Thriller „In ihrem Haus“ und der Komödie „Molière auf dem Fahrrad“ präsentiert Luchini eine glaubhafte französische Version dieses Typus, während die „Gemma Bovery“ zugrunde liegende und England angesiedelte Graphic Novel eher auf das Klischee vom gehemmten Briten Bezug nimmt. Seinem Martin Joubert wünscht man unermüdlich Fortune, obwohl die gänzlich unerotische olivegrüne Regenjacke, die er trägt, wenn er Gemma besucht, seine Niederlage vorwegnimmt.
Gemma Arterton, deren Vorname das Spiel der Ähnlichkeiten reizvoll erweitert, trägt nicht weniger zum Gelingen bei. Mit ihrer beeindruckenden Filmografie als Bond-Girl („James Bond 007 – Ein Quantum Trost“), mit Rollen bei Stephen Frears („Immer Drama um Tamara“) und Neil Jordan („Byzantinum“) ist sie mittlerweile längst in der Branche etabliert und trotzdem hat man jedem Film aufs Neue das Gefühl sie zu entdecken. Arterton kann im selben Maße zauberhaft unbeschwert und spontan sein, was erst glaubhaft werden, lässt, warum ihr Gegenpart Martin/Luchini von seinen Projektionen so gefangen ist. Sie gibt die schöne, seelische Unschuld, ohne deswegen naiv zu sein. Regisseurin Anne Fontaine betont dies raffiniert und amüsant, in dem sie die kulturellen Differenzen zwischen Engländern und Franzosen hervorhebt.
Überhaupt zeigt sich Anne Fontaine nach ihrem australischen Softcore-Desaster „Tage am Strand“ bestens erholt und zelebriert immer wieder herausragende Einzelszenen. Ein atemlos auf das Schloss der Bressignys starrender Martin zählt so jede einzelne der 78 Minuten, die Gemma dort mit dem Adligen Hervé verbringt, wobei Phantasie und Realität des Liebesaktes verschmelzen. Solche Szenen können mit den besten Momenten aus früheren Werken der Regisseurin wie „Entre ses mains“ und „Vater Töten!“ mithalten.
Fazit: „Gemma Bovery“ reicht an Flauberts „Madame Bovary“ nicht heran. Aber dafür hat der Film neben Witz und Charme eine wichtige Botschaft: Nur selber lieben und leben kann glücklich machen!