Mein Konto
    Concussion - Leichte Erschütterung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Concussion - Leichte Erschütterung
    Von Björn Becher

    Eine Kurz-Zusammenfassung von „Concussion – Leichte Erschütterung“ lässt einen allzu simplen, sogar seichten Film befürchten: Eine lesbische Frau ist so gelangweilt von ihrem Sexleben, dass sie beschließt, sich als Prostituierte zu verdingen und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: endlich wieder mit anderen Frauen zu schlafen und dann auch noch jedes Mal 800 Dollar zu kassieren. Bei ihren sexuellen Abenteuern macht sie dann noch höchst unterschiedliche Bekanntschaften und verhilft unter anderem einer übergewichtigen Jungfrau zu mehr Selbstbewusstsein und damit zur Abnabelung von der dominanten Mutter. Dass sich all das in einem traumhaften New Yorker Loft abspielt, macht es theoretisch auch nicht besser. Und doch ist „Concussion“ ein guter Film. Dies ist zum einen das Verdienst von Debütregisseurin und –autorin Stacie Passon, die immerzu den richtigen Ton und die passenden Bilder  findet und nebenbei gekonnt das Hausfrauen-Vorstadt-Leben aufs Korn nimmt. Zum anderen und vor allem macht aber die herausragende Hauptdarstellerin Robin Weigert („Deadwood“, „Sons Of Anarchy“) den Film zum Ereignis, die eine so beeindruckende Leistung zeigt, dass sie mit über 40 und nach 15 Jahren im Geschäft bei den Gotham Awards in der Kategorie „Breakthrough-Performance“ nominiert war.

    Abby Ableman (Robin Weigert) ist gefrustet. Ihr Vorstadtleben besteht nur noch aus Kindererziehung, Fitness-Kursen und dem Haushalt. Auch im Bett läuft mit ihrer Ehefrau, der erfolgreichen Anwältin Kate (Julie Fain Lawrence), schon lange nichts mehr. Als sie einen Baseball an den Kopf bekommt, der eine klaffende Wunde hinterlässt, ist das für Abby ein Weckruf: Es muss sich was ändern. Sie beginnt wieder in New York zu arbeiten und gemeinsam mit Handwerker Justin (Johnathan Tchaikovsky) ein Loft zu renovieren. Zudem lässt sie sich auf ein Abenteuer mit einer Prostituierten ein, das aber enttäuschend verläuft. Justin bringt sie auf die Idee, die Sache umzudrehen und über seine mysteriöse Freundin (Emily Kinney), die aus ihrem Wohnheimzimmer ein florierendes Geschäft betreibt und als Zuhälterin ihr Jura-Studium finanziert, ihre Dienste als Call-Girl anzubieten. Abby, die sich beruflich nun Eleanor nennt, hat dabei aber ihre Eigenheiten und besteht darauf, sich mit ihren Kundinnen zuerst auf einen Kaffee zu treffen.  Ihr neues Leben lässt sie merklich aufblühen und verschafft ihr interessante Bekanntschaften bis plötzlich im Café ihre eigentlich in einer glücklichen heterosexuellen Beziehung lebende Nachbarin Sam Bennet (Maggie Siff) vor ihr sitzt und sich als neue Kundin vorstellt.

    Dass David Bowies „Oh! You Pretty Things“ das Drama von Stacie Passon eröffnet, ist kein Zufall, ist der Song doch ein bissig-ironischer Kommentar auf das, was nun folgen wird, und zugleich auch schon ein Signal des Aufbruchs in ein neues Leben. Schon vom ersten Moment an porträtiert die Debütregisseurin das Vorstadtleben in New Jersey als trist-gewöhnliche Alltagshölle. Dass Abby lesbisch ist, spielt keine Rolle. Mit all den anderen gefrusteten Ehefrauen schlägt sie tagein tagaus die Zeit beim Spinning- oder Yoga-Kurs und beim gemeinsamen Kaffee-Klatsch tot, während ihre „besseren Hälften“ auf der anderen Seite des Hudson River, im nahe gelegenen New York, das Geld verdienen (auffallend häufig als erfolgreiche Anwälte). Mit Abbys Transformation zu Eleanor wandelt sich das Bild: Aus der gefrusteten Hausfrau wird eine selbstbewusste Verführerin. Passon entwirft dabei zwar vieles am Reißbrett, die Wandlungen erfolgen im Expresstempo, doch sie sind dank der subtilen Hauptdarstellerin Robin Weigert, die den durchaus ungewöhnlichen Entwicklungen jederzeit eine wunderbare Erdung gibt, trotzdem überzeugend. Sie macht aus dem klischeebehafteten Gegensatz von Hausfrau und Hure das nuancierte Porträt einer modernen Frau im komplizierten Spannungsverhältnis zwischen Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung.

    Durchaus humorvoll beschreibt Stacie Passon die ersten Treffen von Abby/Eleanor mit ihren Kundinnen, sehr unterschiedlich gestaltet sie dann die einfühlsamen, niemals plump voyeuristischen Sexszenen. Mal verzichtet sie komplett auf die Darstellung der Intimitäten, später verleiht sie ihnen dann eine knisternde und natürliche Erotik. Neue erzählerische Dynamik bekommt das Geschehen dann noch einmal mit dem Auftritt von Sam – genau zum richtigen Zeitpunkt. Während Eleanor durch die unerwartete Begegnung mit der attraktiven Nachbarin sozusagen in ihre alte Abby-Persönlichkeit zurückfällt und unsicher wird, übernimmt Sam plötzlich die dominante Rolle und zeigt, dass auch ihr Vorstadtleben nur Fassade ist. „Sons Of Anarchy“-Star Maggie Siff, die in der sechsten Staffel der Biker-Serie ebenfalls einige intensive gemeinsame Szenen mit Weigert hat, erweist sich hier als perfekter Counterpart für die Hauptdarstellerin. Auch sie braucht eine „Erschütterung“ („concussion“), um ihrem Leben neue Impulse zu geben. Überflüssig ist dabei allerdings, dass auch noch kurz ihr Ehemann Graham (Ben Shenkman) eingeführt wird, damit trägt Passon etwas dick auf und Sams „Vorstadt-Hölle“ bekommt eine unnötig explizite Prägung – denn hier geht es sonst gerade nicht darum, die beiden Seiten der Medaille gegeneinander auszuspielen.

    Fazit: Das bei der Berlinale 2013 bei den Teddy Awards mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnete Drama „Concussion – Leichte Erschütterung“ ist trotz der etwas simpel-übereilten Entwicklung der Geschichte ungemein sehenswert.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top