Seit Goethes Ballade vom „Zauberlehrling“ gibt es eine geflügelte Umschreibung für den Umstand, sich mit einer Sache verhoben zu haben und deren Auswirkungen nicht mehr kontrollieren zu können: „Die ich rief, die Geister – Werd ich nun nicht los“. Klaus Hüttmann kombiniert in seinem Thriller „Die Todesliste – N. 1 stirbt“ dieses Dilemma mit den gegenwärtigen Möglichkeiten des Internets zu einer beunruhigenden Erzählung über moralische Ambitionen und Selbstjustiz. Dabei ist ihm ein vor allem atmosphärisch überzeugender Film gelungen.
Seit Christopher Corwin (Anthony Flanagan) seinen Bruder durch ein seiner Meinung nach unzureichend getestetes Medikament verloren hat und der verantwortliche Wissenschaftler Vickery (Andrew Havill) freigesprochen wurde, hat er der Korruption der Mächtigen den Kampf angesagt. Mit einem kleinen Unternehmen betreibt er eine Internetseite, auf der Nutzer per Abstimmung über den Korruptionsgrad wichtiger Vertreter aus Politik, Wirtschaft und anderen Gesellschaftsbereichen abstimmen können. Dieser Pranger soll im Idealfall dafür sorgen, dass sich die beschuldigten Menschen ändern. Aber als ein Serienkiller (Nigel Planer) nacheinander diejenigen tötet, die gerade auf Platz 1 der Liste stehen, läuft alles aus dem Ruder. Die Presse belagert Corwins Haus, sein bei der Polizei arbeitender Freund Reg (Bill Paterson) warnt ihn vor den Ermittlungen und seine Frau Alison (Sienna Guillory) hat Angst. Corwin gelingt es auch nicht, die Liste zu löschen, weil die Seite längst kopiert und auf anderen Servern gespiegelt wurde. Doch damit nicht genug der Probleme: Er selbst befindet sich auf der Liste und rückt immer weiter nach oben…
Das Internet ist vielleicht nicht unübersichtlicher als die reale Welt auch, aber es ist online viel leichter, mit einfachen Mitteln eine größere Wirkung zu erzielen und sich so in einem unübersichtlichen Geflecht zu verheddern. Hüttmann überträgt den Kontrollverlust, den Corwin erleidet, geschickt auf dessen normales Leben, um die beunruhigende Bedrohungslage handfest zu steigern. Erst versuchen ihn Unbekannte von der Straße zu drängen, dann wirkt die Presse wie eine Meute, die eine Beute sucht, und schließlich wird er mit dem Mörder konfrontiert, der sich als sein größter Fan zu erkennen gibt. Denn der ältere Herr will der Liste nur das hinzufügen, was seiner Meinung nach fehlt: schmerzliche Konsequenzen. Aus dem gut gemeinten Plan, die Welt zu verbessern, entwickelt sich ein Desaster aus Gewalt und Machtspielen. Das im virtuellen Raum angelegte Informationskonzept greift krakenartig auf die Welt über, wobei die Frage offen bleibt, ob der Pranger selbst überhaupt ein moralisch akzeptables Mittel ist. Dazu lässt Hüttmann nur ein paar Chatteilnehmer Gedanken austauschen.
Im Kampf gegen die Folgen seiner Internetseite wird Corwin immer mehr zu einem Getriebenen. Auf der Flucht vor Polizei und Presse weicht er in die düstere, englische Landschaft zurück, die Kameramann Felix Wiedemann („Sisters' Hood - Die Mädchen-Gang“) gekonnt in Szene gesetzt hat. Wie ein Verlorener steht Corwin mit seinem Polizeifreund an einem See, während die grauen Wolken erdrückend schwer über den beiden Gestalten hängen. In einer anderen Sequenz lockt der Mörder Corwin im Wald in eine Falle. Gespenstisch stehen die Nadelbäume in Reih und Glied dar, während lange, schmale Wege nur scheinbar den Blick freigeben, die eigentliche Gefahr aber im dunklen Dickicht lauern könnte. Die subtile Spannung der unheilvollen Landschaftsaufnahmen nutzt Hüttmann einerseits für die Zuspitzung des Geschehens andererseits findet er so auch eine visuelle Metapher für Corwins Onlinekontrollverlust. Die gerufenen Geister entpuppen sich nicht nur als Plage, sondern sie drohen Corwin zu zermalmen und die Gesellschaft zu spalten.
Fazit: „Die Todesliste – Nr. 1 stirbt“ ist ein spannender Thriller mit wirkungsvoller Bildgestaltung.