„Une rencontre“: Im schlichten Originaltitel von Lisa Azuelos’ bittersüßer Kinoromanze „Ein Augenblick Liebe“ schwingen neben zahllosen Anspielungen und Assoziationen auch noch unzählige Erinnerungen und Hoffnungen mit. Eine davon ist fest mit einer anderen großen Kinoerzählung von Liebe und Verzicht verbunden. In „Brief Encounter“, seinem kühlen und doch so romantischen Melodrama, stürzte David Lean 1945 einen Mann und eine Frau, die sich eher zufällig auf einem Bahnhof begegneten, in einen tiefen Konflikt. Ihre „Begegnung“, so auch der deutsche Titel, brachte ihr Leben aus den Fugen. Liebe und Leidenschaft rüttelten mit einmal an den Grundfesten ihrer Überzeugungen. In den Momenten ihrer Begegnungen war alles möglich, auch ein Bruch mit der Gesellschaft und ihren Konventionen. Seither hat sich das Kino – weitaus mehr noch als die Welt an sich –verändert. Verzicht, einst eine so zentrale Kategorie in den meist herzzerreißenden romantischen Visionen von Filmemachern in Europa wie in Hollywood, ist ohne Zweifel aus der Mode gekommen. Aber etwas von der Magie der alten Melodramen hat dennoch die Jahre und Zeiten überlebt, um gelegentlich Filme wie Lisa Azuelos’ fast schon altmodisch anmutende Liebesgeschichte mit einem besonderen Zauber zu erfüllen.
Eine Buchmesse in der französischen Provinz. Während der abendlichen Party lernen sich die erfolgreiche Schriftstellerin Elsa (Sophie Marceau) und der Anwalt Pierre (François Cluzet) kennen. Ihr Verleger ist sein bester Freund. Es ist eine dieser ganz alltäglichen Begegnungen, nach denen trotzdem nichts mehr so ist, wie es war. Elsa und Pierre, die beide gerne mal einen Joint rauchen, verstehen sich auf Anhieb perfekt. Es ist, wie es so schön und dabei so klischeehaft heißt, Liebe auf den ersten Blick. Nur ist Pierre seit gut 15 Jahren glücklich mit Anne (Lisa Azuelos) verheiratet, und Elsa hat sich immer schon selbst geschworen, niemals etwas mit einem verheirateten Mann anzufangen. Also soll es bei diesem einen Treffen in der Fremde bleiben. Beide verzichten sie auf die Telefonnummer des anderen. Wenn sie sich doch noch einmal treffen, dann soll es ein Zufall sein, der die zwei in ihrer Heimatstadt Paris zusammenführt.
„Ein Augenblick Liebe“ ist unverkennbar ein Film von Lisa Azuelos. Schließlich hatte die Autorin, Regisseurin und Schauspielerin schon in beiden Versionen von „LOL (Laughing Out Loud)“, dem französischen Original wie dem amerikanischen Remake, von dem Riss erzählt, der Teenager und ihre Eltern heute trennt. Nur hat sich Azuelos damals mehr auf die Tochter konzentriert, die sich ihre Unabhängigkeit beweisen will und sich dazu gerne auch der neueren Technologien bedient. Nun wechselt die französische Filmemacherin die Perspektive, und schon offenbart sich die Krise einer ganzen Generation.
Sophie Marceaus Elsa trägt einen ständigen familiären Kleinkrieg mit ihrer Tochter aus. Mal liest sie deren Facebook-Nachrichten, mal versucht sie, ihr wieder etwas zu verbieten. Doch letztlich geht es dabei immer um Elsa und ihr ständiges Gefühl von Verlorenheit. Die Entwicklungen der vergangenen zwanzig Jahre haben anscheinend eine ganze Generation ins Nichts fallen lassen. Die Vierzig- bis Fünfzig-Jährigen, zu denen neben Sophie Marceaus und François Cluzets Figuren auch Lisa Azuelos gehört, stehen zwischen allen Stühlen und wohl auch noch zwischen allen Jahrgängen. Die klaren Verhältnisse, in denen einst ihre Eltern aufgewachsen sind, haben sie selbst so nie kennen gelernt, und das enorme Tempo, das nun die Jugend ihrer Kinder prägt, ist offensichtlich zu viel für sie. So haben sie endgültig jeden Halt verloren.
Dieses Gefühl, keinen Platz zu finden, zwischen dem, was einmal war, und dem, was vielleicht kommen wird, erfüllt nicht nur die Szenen zwischen Elsa und ihrer Tochter. Es kennzeichnet vielmehr den gesamten Film. Lisa Azuelos scheint zugleich Anschluss an die Vergangenheit wie an die Zukunft zu suchen. So erzählt sie eine moderne Variante von David Leans „Brief Encounter“ mit den Mitteln der heutigen Popkultur.
Immer wieder gleiten Elsa und Pierre aus der Wirklichkeit in zutiefst romantische Traumsequenzen hinein, die sich aber nur langsam als solche offenbaren. Kleine Signale, etwa schillernde lens flares oder extrem kräftige Farben, signalisieren den Wechsel vom Alltag in die Phantasie. Nach und nach werden die Bilder dann immer künstlicher, bis schließlich ein Schnitt den Betrachter wieder in die von Zweifeln und Sorgen geprägte Realität stößt. In diesen Szenen verlässt sich Lisa Azuelos ganz auf die Fähigkeit des Publikums, Bilder in kürzester Zeit zu dekodieren.
Die Filmsprache des konventionellen französischen Kinos trifft auf die Ästhetik von Photos aus Hochglanz-Magazinen und die überhöhten Bildwelten stilisierter Musikvideos. Der Riss, der durch die unglücklich Liebenden geht, spiegelt sich in den Sprüngen eines Films, der Vergangenes und Gegenwärtiges unvermittelt aufeinanderprallen lässt. Jeder Zusammenstoß schafft eine neue Welt und eine neue Wirklichkeit. Und so öffnet sich ein anderer Blick auf das Leben, das nicht mehr linear von einem Punkt in der Zeit zum anderen verläuft, sondern sich in viele Momente und Möglichkeiten auffächert.
Fazit: So schön und so anrührend war schon lange keine unglückliche Liebesgeschichte. Lisa Azuelos erzählt mit einer wundervollen Leichtigkeit von der Möglichkeit einer großen Liebe und den nicht sonderlich romantischen Realitäten des Lebens. Dabei schlägt sie einen Bogen zurück zu den großen Melodramen der 1940er und 50er Jahre und lässt deren Geist zusammen mit ihren beiden wahrhaft zeitlosen Stars, Sophie Marceau und François Cluzet, noch einmal aufleben.