Altmeister Tommy Lee Jones („Men In Black“, „Auf der Flucht“) hat sich Zeit gelassen: Seinen ersten Kinofilm „Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ inszenierte der Schauspieler erst mit Ende 50 – und auch seit diesem starken Neo-Western, der beim Filmfestival Cannes 2005 unter anderem den Preis für das beste Drehbuch abräumte, ist mittlerweile fast eine ganze Dekade verstrichen. Gut Ding will manchmal eben Weile haben: Seine zweite Regiearbeit für die große Leinwand, das Westerndrama „The Homesman“, das auf dem Filmfest München 2014 seine Europapremiere feierte, steht seinem Erstlingswerk nämlich qualitativ in nichts nach. Erneut stemmt Jones neben der Regie und dem Drehbuch auch die Hauptrolle – und während er in „Three Burials“ noch mit Barry Pepper („Der Soldat James Ryan“) eine Leiche durch mexikanisches Grenzgebiet spazieren ritt, macht er sich nun mit Hilary Swank in einer Kutsche auf den gefährlichen Weg durch den Wilden Westen. Das Ergebnis ist ein stimmungsvolles und überraschend witziges Westerndrama, das von den stark aufspielenden Hauptdarstellern fast im Alleingang getragen wird.
Weil kein Mann aus ihrer Gegend die Courage dazu hat, meldet sich die alleinstehende Farmerin Mary Bee Cuddy (Hilary Swank) freiwillig für eine gefährliche Mission: Sie soll die Frauen Arabella Sours (Grace Gummer), Theoline Belknapp (Miranda Otto) und Gro Svendsen (Sonja Richter), die wegen verschiedener Schicksalsschläge den Verstand verloren haben, aus einem kleinen Städtchen in Nebraska zurück in deren Heimat nach Iowa bringen. Dort besteht in einem Sanatorium Aussicht auf Heilung. Für die gefährliche Kutschfahrt braucht sie allerdings die Unterstützung eines erfahrenen Cowboys. Zunächst stößt Mary Bee bei der Suche nach einem Begleiter überall auf Ablehnung – doch wie es der Zufall will, rettet sie kurz vor Antritt der Reise den abgehalfterten Outlaw George Briggs (Tommy Lee Jones) vor dem sicheren Tod am Galgen. Der ist ihr nun einen Gefallen schuldig – und willigt wohl oder übel ein, die einsame Siedlerin auf dem langen und beschwerlichen Weg durch die unerschlossenen Gebiete des Wilden Westens zu begleiten. Dabei sind die drei unberechenbaren Frauen, die in der Kutsche eingesperrt werden und selbst beim Essen und den Pinkelpausen keine Sekunde aus den Augen gelassen werden dürfen, bald das geringste Problem...
Endlose Präriepanoramen, ein stimmungsvoller Soundtrack und ein mutiger Held auf einer einsamen Mission: Der erste Eindruck täuscht, denn „The Homesman“, den Tommy Lee Jones deutlich weniger verschachtelt erzählt als „Three Burials“, ist allenfalls auf dem Papier ein klassischer Western. In der Rolle des obligatorischen Helden hält dabei eine Frau die Zügel in der Hand: Mary Bee Cuddy, die wie eine erwachsene Version von Mattie Ross (deren Darstellerin Hailee Steinfeld hier ebenfalls zum Cast zählt) aus dem Coen-Western „True Grit“ wirkt, findet keinen Ehemann, der ihr beim Bestellen der Felder helfen und in kalten Nächten das Bett mit ihr teilen möchte. Diese Umkehr der etablierten Konventionen ist eines von mehreren Beispielen, wie Filmemacher Jones, der die Leinwandadaption von Glendon Swarthouts Roman gemeinsam mit Kieran Fitzgerald und Wesley A. Oliver konzipierte, mit den Versatzstücken des Genres spielt und dem Westerndrama seinen ganz eigenen Stempel aufdrückt. In einer anderen Szene nimmt es der zerzauste Outlaw Briggs mit einem Rivalen im Nahkampf auf, der sich eine der geisteskranken Frauen als wehrloses Betthäschen mit nach Hause nehmen möchte: Weil die Waffen Ladehemmung haben, wälzen sich die Männer raufend im Staub. Großes Geballer war gestern.
Spätestens in dieser Szene, in der der kauzige Cowboy sein eigenes Leben für das seiner stummen Begleiterin riskiert, schwingt sich der anfangs noch gleichgültig agierende Trunkenbold zum Publikumsliebling auf. Wirkt er zu Beginn an der Seite der resoluten Mary Bee noch wie ein bedauernswertes Häufchen Elend, stellt der ergraute Präriekenner schon bei der ersten Begegnung mit wild bemalten Kiowa-Indianern seinen Wert für die Mission unter Beweis. Swank und Jones, die gleich in mehreren Szenen Mut zur Hässlichkeit beweisen, harmonieren bei den Frotzeleien, die die erzkonservative Farmerin schon nach wenigen Stunden Kutschfahrt zur Weißglut bringen, einfach prächtig. Dabei stiehlt Jones im mittleren Filmdrittel eine ganze Reihe an Szenen, weil Briggs seine dominante Begleiterin frech vor den Kopf stößt und immer wieder erfolgreich aus der Reserve lockt. Überhaupt ist „The Homesman“ ein Westerndrama der humorvollen Sorte: Wie schon in „Three Burials“ streut Jones mit hervorragendem Gespür für den richtigen Moment offenen Dialogwitz, aber auch subtile Situationskomik ins Geschehen ein – zum Beispiel dann, wenn Briggs ein Spanferkel erbeutet und es sich samt Apfeldeko wie selbstverständlich an den Sattel schnallt, um damit zurück zu seiner hungrigen menschlichen Fracht zu reiten.
Ein großes Kompliment ist auch den drei Nebendarstellerinnen zu machen: Die Momente, in denen sich Briggs den drei wahnsinnigen Frauen unbeholfen annähert, sind rührend und köstlich zugleich – allen voran die Szene, in der er einer Frau beim Wasserlassen auf freiem Feld assistiert und kaum glauben kann, was er da eigentlich gerade tut. Während Dänemark-Export Sonja Richter („Erbarmen“) in ihrer Rolle als aufbrausende Irre mit Hang zur Selbstverstümmelung einem gruseligen Horrorfilm entsprungen zu sein scheint, transportieren Grace Gummer („Frances Ha“) und Miranda Otto („Der Herr der Ringe“) die Geisteskrankheit ihrer Figuren vor allem durch Mimik, eisernes Schweigen und kleine Gesten. Jones tut gut daran, diesen Nebenfiguren Platz zur Entfaltung einzuräumen und sich nicht zu sehr auf das – zweifellos sehr reizvolle und mit einem doppelten Paukenschlag ausklingende – Verhältnis zwischen Briggs und Mary Bee zu beschränken. Die kleineren Längen im finalen Filmdrittel, in dem Leindwandlegende Meryl Streep („Die Eiserne Lady“) in einer sympathischen Nebenrolle zu sehen ist und das Publikum mit ihrer herzerwärmenden Performance in Rekordzeit für sich vereinnahmt, sind da locker zu verschmerzen.
Fazit: Tommy Lee Jones stellt seine Qualitäten als Regisseur auch bei seinem zweiten Kinofilm unter Beweis und knüpft mit seinem stark besetzten und humorvollen Westerndrama „The Homesman“ nahtlos an sein Erstlingswerk „Three Burials“ an.