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    Im weißen Rössl - Wehe, du singst!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Im weißen Rössl - Wehe, du singst!
    Von Andreas Staben

    Jahrelang bekam der deutsche Fernsehzuschauer im Sommer Bilder aus der Urlaubsidylle von Helmut Kohl am österreichischen Wolfgangsee zu sehen, wo sich der damalige Bundeskanzler beim Interview gern ungezwungen gab und dabei manches Mal verbiestert-spießbürgerlich rüberkam. Es ist nicht überliefert, wie Kohl auf die Idee gekommen ist, seine Ferien ausgerechnet im Salzkammergut zu verbringen, aber es ist gut möglich, dass ein Berliner Singspiel ihn dazu inspiriert hat. Schließlich werden die Vorzüge der Region in Ralph Benatzkys Operetten-Evergreen „Im weißen Rössl“ ausführlich besungen, der nach seiner Uraufführung 1930 einen internationalen Siegeszug bis an den Broadway erlebte. Den Nazis galt das „Rössl“ als „entartet“, aber nach dem Krieg wurde es in Österreich fast schon zu einem Nationalheiligtum – nicht zuletzt dank der bekanntesten Verfilmung von 1960. Wer den TV-Dauerbrenner mit Peter Alexander und Gunther Philipp allerdings nicht mit nostalgischer Nachsicht betrachtet, der dürfte ihm aus heutiger Sicht eine gewisse Heimatfilm-Miefigkeit attestieren. Mit der hat Regisseur Christian Theede nichts im Sinn, wenn er nun eine unerwartete neue Version des Singspiels ins Kino bringt – das signalisiert schon der Titel „Im weißen Rössl – Wehe, du singst!“. Theede präsentiert uns ein Filmmusical zwischen ungehemmter Operettenseligkeit und poppiger Parodie, das immer mal wieder aus dem Takt gerät, als echte Kino-Kuriosität aber in jedem Fall Artenschutz verdient.    

    Ottilie (Diana Amft) hat Stress im Büro und zu allem Überfluss macht ihr Freund Nobbe (Ben Ruedinger) per SMS Schluss mit ihr. So lässt sie sich von ihrem Vater Wilhelm (Armin Rohde) aus dem verregneten Berlin entführen und begleitet ihn auf einen Trip ins „Weiße Rössl“ am österreichischen Wolfgangsee. Kaum haben sie das Salzkammergut erreicht, weicht das trübe Grau des Himmels einem strahlenden Sonnenschein und sie begegnen dem ausgesucht höflichen Dr. Otto Siedler (Tobias Licht), der sich auf den ersten Blick in das „Fräulein“ aus der Stadt verliebt. Die desillusionierte Ottilie hält allerdings gar nichts von solchen romantischen Anwandlungen und ist auch von der amourösen Atmosphäre im „Weißen Rössl“ schwer genervt: Hier scheint jeder vor Liebe blind zu sein. Der Oberkellner Leopold (Fritz Karl) himmelt die Wirtin Josepha (Edita Malovcic) an, die wiederum schwärmt für Ottilies hartnäckigen Verehrer Dr. Siedler… Als dann noch der schöne Sigismund Sülzheimer (Gregor Bloéb) per Helikopter zur anstehenden Schuhplattler-WM einfliegt und Josepha ihm das „Rössl“ verkauft, ist das (Liebes-)Chaos komplett.

    Mit halbgaren TV-Arbeiten wie „Buschpiloten küsst man nicht“ und „Alles Bestens“ hat sich Christian Theede bereits sowohl an Romantik- als auch an Komödienstoffen versucht. In seinem ersten Kinofilm „Im Weißen Rössl“ soll nun beides zusammen kommen, doch zunächst treibt der Regisseur den Stadt-Land-Gegensatz der Handlung so penetrant auf die Spitze, dass der Spaß auf der Strecke bleibt. Theede lässt Berlin in garstigem Regen und unter grauen Wolken versinken; die Architektur ist kühl, die Büroeinrichtung ebenso und auch das frostige Arbeitsklima passt dazu. Als grausame Pointe werden dann selbst Herzensdinge auf die denkbar unpersönlichste Art erledigt: Beim Date im Restaurant, von dem sich Ottilie einen Heiratsantrag erhofft, kriegt ihr feiger Freund seine Trennungsabsicht nicht über die Lippen und schreibt ihr von Angesicht zu Angesicht eine „Es ist Schluss“-SMS. Angesichts dieser mit Depri-Pop untermalten Metropolen-Misere, der jede parodistische Leichtigkeit fehlt, ist man dankbar, wenn das Stimmungspendel mit Passieren des Ortsschildes Salzkammergut ins krasse Gegenteil umschlägt. Die gleichsam per Fingerschnipsen herbeigezauberte Postkartenidylle wird im Anschluss mit Mut zum Kitsch und einem großen ironischen Augenzwinkern zur altmodisch-charmanten Traumwelt ausgebaut, wo plötzlich auch die satirischen Pointen immer häufiger sitzen – etwa wenn die Rössl-Wirtin mit sehnsüchtigem Blick auf ein atemberaubendes Alpenpanorama Franz von Suppés patriotischen Schmachtfetzen „O du, mein Österreich“ anstimmt.

    „Glücklich und zufrieden sein, kann man nur mit Lieb allein“ – in der fröhlich-blauäugigen Operettenparallelwelt des „Weißen Rössls“ liegt das Glück im Gesang. Das Duett-Singen wird hier mehr oder weniger mit Sex gleichgesetzt und der Frauenheld Sigismund (der bekanntlich nichts dafür kann, dass er so schön ist) entpuppt sich als dauerküssende männliche Jungfrau. Sein von einer aufwändigen Almenchoreographie begleiteter Auftritt irgendwo zwischen Falco und Hansi Hinterseer ist exemplarisch für Theedes Herangehensweise an den Stoff: Der Regisseur kann sich nicht verkneifen, die Schlager-Schlachtrösser der Vorlage immer wieder mit Disco-Beats oder Bollywood-Rhythmen zu unterlegen, dabei wäre es gar nicht nötig, die ohnehin schon mit einer guten Portion Schmäh ausgestatteten Gassenhauer so zu verfremden. Es reicht schon, wenn die gefrustete Ottilie als Stellvertreterin des abgebrühten Kinozuschauers von 2013 den mit blumigen Worten um sie werbenden Otto fragt: „Bist du ausgebrochen?“ – worauf er ihr die unschlagbare Antwort gibt: „Ja, aus dem Gefängnis der Einsamkeit“. Irgendwann kann Ottilie sich dem schrägen Zauber nicht mehr verschließen, sie streckt die Waffen und singt. Dabei schlägt sich Diana Amft ganz wie Armin Rohde durchaus wacker und die anderen treffen die diversen Nuancen zwischen schön-schmalzig, innig-emotional und schwungvoll-mitreißend sogar meist bewundernswert genau. Theede wiederum kriegt schließlich die Kurve von angestrengter Cleverness über (meist) unterhaltsamen Unernst zu heiterem Wohlfühlkino, das von zeitlosen Melodien getragen wird.

    Fazit: In der ungezwungenen Paarung von grenzwertiger Absurdität und großen Gefühlen haben die meisten Monumental-Musicals aus Bollywood gegenüber dieser Österreich-Operette die Nase vorn, aber auch die aufgepeppte Alpen-Revue besticht trotz gelegentlicher Ausrutscher beim Spagat zwischen Satire und Hommage mit viel Schwung und einigem Unterhaltungswert.

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