Mit seinem Langfilmdebüt, dem ländlichen Jugend-Drama „George Washington“ aus dem Jahr 2000, avancierte David Gordon Green zu einem gefeierten Independent-Regisseur. Seine ersten vier Filme konnte man vornehmlich auf Filmfestivals rund um den Globus sehen, erst „Ananas Express“ machte Green 2008 einem größeren Publikum bekannt. Mit dieser ersten von drei ganz und gar nicht jugendfreien Komödien, in denen noch mehr gekifft als geflucht wird, begann eine neue Phase im Schaffen des Filmemachers, zu der auch seine Regiearbeiten bei der TV-Serie „Eastbound & Down“ gehören. Trotz der neuen Ausrichtung blieben Greens Vorliebe für Außenseiterfiguren sowie sein feines Gespür für ungewöhnliche Schauplätze erhalten, die seit „Prince Avalanche“ wieder stärker in den Vordergrund rücken. Das Anfang 2013 in Sundance uraufgeführte melancholische Drama läutete ein weiteres neues Kapitel im Schaffen des Regisseurs ein: Nun konzentriert sich Green auf vor allem räumlich sehr begrenzte Geschichten und arbeitet mit deutlich erhöhter Schlagzahl. Der 2014 im Wettbewerb des Festivals in Venedig stehende „Manglehorn“ mit Al Pacino ist bereits sein dritter Film in schneller Folge, zuvor entstand „Joe“ (reißerischer deutscher Untertitel: „Die Rache ist sein“), der seine Weltpremiere im Herbst 2013 ebenfalls in der Lagunenstadt feierte. Mit diesem Südstaaten-Charakterdrama zeigt der durch seine kurze Komödien-Phase vielen als Spezialist für Brachialhumor bekannte Green einmal mehr, dass er gerade die leisen Momente wie kaum ein anderer Regisseur beherrscht.
Irgendwo in Texas, wo man sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt, wo Alkohol dazu dient, alles zu betäuben und wo man damit rechnen muss, nach einer recht harmlosen Bar-Auseinandersetzung mit der Schrotflinte aus dem Hinterhalt abgeknallt zu werden, lebt der ehemalige Sträfling Joe (Nicolas Cage). Er beschäftigt eine kleine Crew von Waldarbeitern, die mit Äxten Gift in Bäume haut, damit diese krank werden und die Firma, die an der Stelle andere Bäume pflanzen will, eine Genehmigung zum Fällen bekommt. Eines Tages steht der 15 Jahre alte Gary (Tye Sheridan) vor Joe und bittet ihn um einen Job. Der eigentlich harte und unnahbare Ex-Knacki beschäftigt den Jungen fortan nicht nur, sondern fühlt sich mehr und mehr für seinen neuen Schützling verantwortlich. So gerät er bald mit Garys Vater Wade (Gary Poulter), einem Alkoholiker und Taugenichts, aneinander, als dieser dem Jungen das erarbeitete Geld immer wieder abknöpft. Und dann lungert auch noch der psychopathische Willie-Russell (Ronnie Gene Blevins) in der Gegend herum, der nicht nur mit Joe, sondern auch bald mit Gary eine Rechnung offen hat. Außerdem setzen einige Cops dem vorbestraften Joe zu, aber der lässt von Autoritäten nicht gerne was sagen und kann seine Aggressionen nur schwer kontrollieren. Während so die Tage ins Land ziehen, steuert alles auf eine Katastrophe zu.
Schon seine frühen Filme wie „Undertow – Im Sog der Rache“ oder „George Washington“ erzählte David Gordon Green vornehmlich über die Gegend, in der die Geschichten spielten, und die Menschen, die dort leben. Dafür hat er zusätzlich zu den professionellen und zunehmend auch prominenten Schauspielern mit Vorliebe auch lokale Laiendarsteller besetzt, die sich mehr oder weniger selbst spielen. So erzeugt er ein starkes Gefühl von Authentizität, das sich auch in „Joe“ sofort einstellt, wenn die Waldarbeiter im breitesten texanischen Dialekt (in der Originalfassung versteht sich) ihre Unterhaltungen über Gott und die Welt führen. Das herausragende Hauptdarstellertrio besteht dann auch nur zu zwei Dritteln aus Profis, neben Oscar-Preisträger Nicolas Cage und Jungstar Tye Sheridan verpflichtete Green mit Gary Poulter von der Straße weg einen Obdachlosen ohne jede Schauspielerfahrung, der im Anschluss an die Dreharbeiten in sein altes Leben zurückkehrte und wenige Monate später verstarb. Mit der enigmatischen Darstellung der komplexen Vaterrolle, die im Gegensatz zum entstellten Psychopathen Willie-Russell nicht als Bösewicht, sondern als tragische Figur angelegt ist, hat sich Poulter selbst ein filmisches Denkmal gesetzt: Selbst wenn sein Wade, der aufgrund eines Schriftzugs auf seiner Jacke „G-Daawg“ genannt wird, einem Obdachlosen wegen einer Flasche Wein unvermittelt den Schädel einschlägt, steht neben dem brutalen Akt auch die Verzweiflung eines Menschen, für den ein „normales“ Leben nicht mehr möglich zu sein scheint.
Um eben diese Normalität und darum, wie schwierig sie zu erreichen ist, geht es in „Joe“. Die Titelfigur ist ein harter Arbeiter, der einfach nur über die Runden kommen und den Feierabend ungestört in seinem Haus verbringen will. Schnell wird allerdings deutlich, dass auch für Joe das vermeintlich normale Leben schon fast außer Reichweite liegt: Zu oft zwingen ihn seine inneren Triebe zu aggressiven Handlungen, zu viele Feinde hat er sich schon gemacht, zu sehr haben ihn die Autoritäten auf dem Kieker. So dient ihm sein Kampfhund nicht nur als Freund, sondern er soll auch dafür sorgen, dass niemand das Grundstück betritt. Der diesmal vollbärtige Nicolas Cage zeigt hier eine seiner besten Leistungen, wobei ihm zugutekommt, dass er physisch in einer so guten Form ist wie lange nicht mehr. Er verleiht dem muskelösen Joe mit breitem Kreuz die respekteinflößende Statur eines Mannes, der ständig unter Strom zu stehen scheint und sich bei kleinsten Konflikten beherrschen muss, dass er nicht ausrastet und gewalttätig wird. Wenn er am Ende des Arbeitstages dann gleichsam in sich zusammenfällt, macht Cage die körperliche und seelische Erschöpfung eines Mannes spürbar, der nichts anderes mehr will als auf seiner Couch zu sitzen. Neben dem Routinier beweist der selbst aus Texas stammende Tye Sheridan nach seinen Auftritten in „Tree Of Life“ und „Mud – Kein Ausweg“ einmal mehr, warum er zu den vielversprechendsten Nachwuchsschauspielern gehört. Mit harter Schale und weichem Kern, gleichermaßen austeilend und einsteckend ist sein Gary die Identifikationsfigur des Films.
Wie schon zuletzt in „Prince Avalanche“ erzählt David Gordon Green mit unaufgeregter Beiläufigkeit. „Joe“ wird über weite Strecken weniger von einer klassischen Dramaturgie bestimmt als von lose zusammenhängenden einzelnen Szenen, die oft wie fast schon beliebige Ausschnitte aus dem Leben der Protagonisten wirken. Der Leerlauf, die Passagen, in denen nichts bis fast nichts passiert, gehört hier genauso dazu wie die Episoden am Rande, die Interaktionen mit allerhand skurrilen Figuren, die in der texanischen Einöde ihr Dasein fristen. Diese kurzen Begegnungen tragen nicht immer zum Fortgang der Handlung bei, aber sie sind wichtig für die Figurenzeichnung und lassen insbesondere das am Anfang sehr lückenhafte Bild des nach Erlösung suchenden Joe immer komplexer werden. Und sie liefern in langen, präzisen Einstellungen von Greens Stammkameramann Tim Orr („Shopping-Center King“) vielsagende Eindrücke aus dem texanischen Niemandsland, wohin das in der Buchvorlage von Larry Brown eigentlich in Mississippi spielende Geschehen verlegt wurde. Hier scheint keine einzige Person wirklich Geld zu haben und das wenige wird in Alkohol und Sex investiert oder damit verdient. Nebenfiguren wie der lokale Sheriff Earl (Aj Wilson McPhaul), die Puffmutter Merle (Sue Rock), der Arbeiter Junior (Brian Mays) oder Joes Gelegenheitsfreundin Connie (Adriene Mishler) bekommen in bewundernswerter Beiläufigkeit ein eigenes Profil – auch sie hätten im Zentrum dieses Films stehen können.
Fazit: David Gordon Greens „Joe – Die Rache ist sein“ ist ein sehenswertes Drama mit überzeugenden Darstellern und unkonventioneller Handlungsführung.