Den Nazi-Gastgebern war er ein Dorn im Auge und selbst in seiner Heimat USA tat man sich mit der Würdigung seiner sportlichen Heldentaten bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 lange Zeit schwer – dabei ist der vierfache Goldmedaillengewinner Jesse Owens einer der größten Leichtathleten aller Zeiten. Nun errichtet der australische Regisseur Stephen Hopkins („Der Geist und die Dunkelheit“) dem ikonischen Afroamerikaner mit dem ansprechenden Sport-Drama „Zeit für Legenden“ ein filmisches Denkmal auf solidem Fundament. In seinem im Original zweideutig-treffend „Race“ betitelten Werk erzählt er davon, wie Owens durch seine unfassbaren Triumphe bei den Nazi-Propagandaspielen in ganz besonderer Weise rassistische Weltbilder erschütterte und würdigt damit das weit über das rein Sportliche hinausreichende Erbe einer Athletenlegende. Das alles ist zwar über weite Strecken etwas betulich und dramaturgisch arg konventionell erzählt, aber dafür gefällt „Zeit der Legenden“ mit robusten Schauwerten und überzeugenden Leistungen der beiden Hauptdarsteller Stephan James und Jason Sudeikis.
Ohio, Herbst 1934: Als jüngstes von zehn Kindern eines schwarzen Arbeiters aus Alabama besucht der begnadete Sprinter und Weitspringer James Cleveland „Jesse“ Owens als Erster seiner Familie ein College: Er erhält ein Stipendium an der Ohio State University, wo er unter dem bekannten Leichtathletik-Coach Larry Snyder (Jason Sudeikis) trainieren kann. Der pfeift auf die Rassentrennung und setzt auf das Naturtalent Owens, der schnell zu seinem Topstar aufsteigt und 1935 bei einem Sportfest in Ann Arbour, Michigan sagenhafte fünf Weltrekorde in 45 Minuten aufstellt. Der Athlet wird damit zu einem der Topfavoriten für die anstehenden Olympischen Spiele in Berlin. Die amerikanischen Entscheidungsträger fürchten allerdings, dass die Nazis die große internationale Bühne für ihre rassistische Hetzpropaganda nutzen und erwägen einen Boykott. Erst als der Bauunternehmer und Sportfunktionär Avery Brundage (Jeremy Irons) in der deutschen Hauptstadt direkt mit Joseph Goebbels (Barnaby Metschurat) verhandelt und Zugeständnisse erreicht, glätten sich die Wogen. Doch US-Aktivisten machen Owens ihrerseits Druck, als Schwarzer nicht an den braunen Spielen der Nazis teilzunehmen.
In der deutsch-amerikanisch-kanadischen Co-Produktion „Zeit für Legenden“ geht es um mehr als nur Sport. Der Jahrhundertsprinter Jesse Owens wollte nichts anderes als sich im friedlichen Wettkampf mit den Besten seiner Disziplin messen. Doch er geriet in das Spannungsfeld aus internationaler (Sport-)Diplomatie, weltanschaulicher Propaganda und Rassendiskriminierung, entsprechend erweitern Regisseur Stephen Hopkins und seine Drehbuchautoren Joe Shrapnel und Anna Waterhouse („Frankie & Alice“) das thematische Spektrum des Films. Und beschränken sich dafür zeitlich auf nur zwei Jahre aus dem Leben von Jesse Owens, der 1980 im Alter von 66 Jahren an Lungenkrebs verstarb. Sein Schicksal nach seinem Triumph in Berlin bleibt völlig ausgeblendet: Hopkins erzählt also nicht von dem jungen Mann, der seine Sportlerkarriere mit 23 Jahren beenden musste, um Geld zu verdienen, sich dazu in Kirmesrennen gegen Rennpferde, Motorräder und Windhunde zur Schau stellte, aber trotzdem 1939 Bankrott anmelden musste. In „Zeit der Legenden“ geht es ausschließlich um den – dabei auch ein wenig glatt gebügelten - afroamerikanischen Sporthelden und wie er vor den Augen des schwer verärgerten Adolf Hitler (Adrian Zwicker) vier Goldmedaillen (100 Meter, 200 Meter, Weitsprung, 4 x 100-Meter-Staffel) gewann.
So ist dieses Sportlerdrama letztlich nur in zweiter Linie ein Jesse-Owens-Biopic. Der Leichtathlet liefert vor allem das Beispiel, an dem sich hier einige große Fragen der 1930er Jahre entzünden: Da ist zum einen die fast schon schizophrene Position der Amerikaner, deren eigene Gesellschaft von tiefsitzendem Rassismus geprägt ist und die sich dennoch als Vorkämpfer für Demokratie und Gleichberechtigung betrachten, und da sind zum anderen auf einer höheren Stufe der Abscheulichkeit die Nazis, die Olympia nutzen wollen, um die vermeintliche Überlegenheit der arischen Rasse zu demonstrieren – wozu Leni Riefenstahl (Carice Van Houten) mit ihrer umstrittenen, aber optisch brillanten Dokumentation „Olympia“ den filmischen Beleg liefern soll. Stephen Hopkins bildet dieses thematische Minenfeld angenehm differenziert ab, wenn zum Beispiel der schwarze Aktivist Harry Davis (Glynn Turman) ätzend bilanzierend den Finger in die Wunde legt: „Wie verlogen ist es, wenn Amerikaner über Rassismus in anderen Ländern herziehen?“ Die Deutschen wiederum werden nicht einfach pauschal als abgrundtief böse abgestempelt – umso erschreckender erscheinen ihre niederen und abartigen Motive, auch wenn sie diese 1936 auf internationalem Parkett noch verschleiern.
Angesichts der ganzen diplomatischen Eiertänze hinter den Kulissen wird das symbolisch bemerkenswerteste Kapitel der Olympischen Spiele 1936 zum emotionalen Höhepunkt des Films: Wenn sich zwischen Owens und seinem deutschen Weitsprung-Rivalen Carl Ludwig „Luz“ Long (David Kross) eine enge Freundschaft entwickelt, die schließlich damit gekrönt wird, dass sie Arm in Arm eine Ehrenrunde absolvieren und dabei von 100.000 Menschen im Olympiastadion bejubelt werden – ist das ein grandioser Moment der Menschlichkeit und zugleich der Mega-PR-Gau für Hitler und Goebbels. In den Stadionszenen besitzt „Zeit der Legenden“ eine elektrisierende Energie, die dem Film trotz der ansprechenden Leistungen von Stephan James („Selma“) und Jason Sudeikis („Wir sind die Millers“) ansonsten fehlt: Bei all den staatstragenden und grundsätzlichen Dialogen will der Funke nicht ganz überspringen, dem steht auch die sehr schematische Handlungsführung im Wege.
Fazit: Stephen Hopkins erinnert mit seinem gefälligen Sportfilm „Zeit für Legenden“ an eine der größten athletischen Leistungen aller Zeiten und an die schwierigen politischen und weltanschaulichen Umstände, unter denen sie erbracht wurde.