Manchmal werden Geschichten von der Geschichte förmlich überholt. Das weiß auch „Breaking Dawn“-Regisseur Bill Condon und erwähnt im Presseheft seines biografischen Thriller-Dramas „Inside WikiLeaks - Die fünfte Gewalt“ gleich mehrfach, dass die Geschichte des Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, noch lange nicht abgeschlossen sei. Zum Zeitpunkt des Filmstarts im Oktober 2013 lebt der australische Politaktivist, Hacker und Journalist als Asylnehmer der ecuadorianischen Regierung abgeschirmt in der Botschaft des südamerikanischen Landes in London und spätestens wenn er diese verlassen sollte, bekäme seine Story tatsächlich ein ganz neues Kapitel. Dass Condon es aber für nötig hält, darauf so nachdrücklich hinzuweisen, bringt eine gewisse Unsicherheit der Filmemacher zum Ausdruck, die in „Inside WikiLeaks“ an vielen Stellen zu spüren ist, und kann auch als vorauseilende Entschuldigung für etwaige Unzulänglichkeiten verstanden werden. Davon gibt es dann auch mehr als dem Regisseur lieb sein dürfte, denn sein Film ist wüst, unfokussiert und hektisch erzählt. Condon bekommt sein hochspannendes und faszinierendes Thema des Rebellentums im digitalen Zeitalter nur oberflächlich zu packen, daran ändern auch die überzeugende Leistung von Benedict Cumberbatch als charismatischer WikiLeaks-Initiator und einige schicke optische Kabinettstückchen wenig.
2007 schließt sich der Informatiker Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl) dem studierten Mathematiker und Computerspezialisten Julian Assange (Benedict Cumberbatch) an, der nichts weniger als eine Revolution der Öffentlichkeit im Sinn hat: Auf seine Internet-Enthüllungsplattform WikiLeaks können anonym belastende Daten hochgeladen werden, um Skandale publik zu machen. Mit bescheidenen technischen Mitteln kämpfen die beiden Don Quixotes von nun an im digitalen Untergrund gegen die großen Windmühlen des Establishments. Sie prangern Ungerechtigkeiten an und wollen den Mächtigen in Wirtschaft und Politik damit auf die Finger klopfen. Erstes spektakuläres Ziel ist die Schweizer Großbank Julius Bär: WikiLeaks legt Daten und Geldflüsse von Kunden offen, die Schwarzgeld auf den Cayman Islands verstecken. Doch dieser Coup ist nur der Anfang des kometenhaften Aufstiegs der Whistleblower-Plattform. Während Assange sich in der Rolle des exzentrischen Digital-Revoluzzers gefällt und sich im medialen Spektakel sonnt, kommen Domscheit-Berg ernsthafte Zweifel, weil der hehre Anspruch, keine brisanten Informationen ungeprüft auf die Webseite zu stellen, mehr und mehr vernachlässigt wird. WikiLeaks scheint außer Kontrolle zu geraten und zwischen den beiden Topleuten kommt es zum Zerwürfnis…
Zwei Bücher dienten Bill Condons dramatischem Thriller als (Haupt-)Vorlage: David Leighs „WikiLeaks“ und „Inside WikiLeaks“ von Daniel Domscheit-Berg. Der echte Julian Assange sah bereits diese Quellenwahl als tendenziös und unfair an - schließlich zerstritt er sich im Laufe der gemeinsamen Revolution mit seinem deutschen Partner. Schon im Vorfeld der Produktion schrieb er einen offenen Brief an Benedict Cumberbatch, um ihn von der Teilnahme an dem Film abzubringen: „Er basiert auf einem betrügerischen Buch, geschrieben von jemandem, der persönliche Rachegelüste gegen mich und meine Organisation hegt.“ Nach Sichtung des fertigen Werks äußerte sich Assange dann auch wenig schmeichelhaft über die Darstellung seiner Person und über Cumberbatchs Leistung. Tatsächlich schildert Condon das „Phänomen Assange“ hauptsächlich aus der Sicht von Daniel Domscheit-Berg, was zumindest ein Geschmäckle hinterlässt. Der Regisseur wollte laut eigener Aussage zwar keinerlei Partei einnehmen, aber sein Film spricht eine recht deutliche andere Sprache mit dem Tenor: WikiLeaks ist eine sinnvolle Sache, aber Assange ein durchgedrehter Spinner, der gebremst werden muss.
Zu Beginn erscheint Julian Assange hier durchaus noch als – wenn auch durchgeknallter – Idealist, der um jeden Preis die Welt verändern will, im Laufe der Geschichte mutiert er jedoch zu einem weißhaarigen Egomanen der Extraklasse, der sich durch Charakterschwäche selbst demontiert und sich hoffnungslos verrennt. Ihrer schillernden Hauptfigur und ihren komplexen Themen werden Regisseur Condon und sein Drehbuchautor Josh Singer („Fringe“, „The West Wing“) mit solcher Schwarz-Weiß-Zeichnung nicht gerecht. Da ist dann auch der umstrittene Epilog, in dem Cumberbatch plötzlich die Position des echten Assange einnimmt und direkt in die Kamera sprechend die Quellen der Kinoverfilmung denunziert, kaum mehr als eine halbherzige selbstreferenzielle Spielerei und nicht etwa eine eloquente Verteidigung des gefallenen selbsternannten Weltverbesserers. Das Porträt, das in „Inside WikiLeaks“ von Julian Assange gezeichnet wird, ist so mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, aber es passt zu dem durchaus vorherrschenden Bild einer weitgehend entzauberten Symbolfigur, der Über-Whistleblower Edward Snowden mit seinen Enthüllungen über die Praktiken der US-Geheimdienste spürbar den Rang abgelaufen hat. Der Ex-NSA-Mitarbeiter hat damit ganz ungewollt Assanges Ziel erreicht und steht als wahrhaftiger Rebell da, als politischer Hochverräter und Märtyrer in einer Person.
Auch mit dem kleinen Warnhinweis zur Einseitigkeit des ganzen Unternehmens im Hinterkopf ist Benedict Cumberbatchs fulminante Darstellung von Assange jedoch ein wahres Vergnügen. Der Brite spielt den australischen WikiLeaks-Gründer als brillant-exzentrischen Querkopf mit geradezu autistischen Zügen und stellt ihn damit in eine Reihe mit seinen bekanntesten Rollen als „Sherlock“ Holmes und als Schurke Khan in „Star Trek Into Darkness“, bei denen ein überlegener Intellekt ebenfalls mit schweren sozialen Defiziten einhergeht. Daniel Brühls („Rush“, „Inglourious Basterds“) Daniel Domscheit-Berg fungiert in Condons Sicht der Dinge unterdessen als sachliches Korrektiv zum flamboyanten Assange und als moralisches Gewissen. Auf leise, aber nachdrückliche Art macht der deutsche Star, der sich längst in alle Notizbücher Hollywoods gespielt hat, aus seinem Landsmann im Schatten des Selbstdarstellers die positive Identifikationsfigur des Films. Neben diesen beiden Protagonisten, die mit ihrer Rivalität klar im Zentrum stehen, bietet lediglich der britische Haudegen David Thewlis („Sieben Jahre in Tibet“, „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“) mit seiner charismatisch-coolen Darstellung des britischen Guardian-Journalisten Nick Davies ein spürbares Gegengewicht. Alle weiteren Figuren (Moritz Bleibtreu ist kurz als Computerhacker zu sehen) haben dagegen kaum eine Chance, Eindruck zu hinterlassen.
Während sein Film inhaltlich etwas Schlagseite hat, ist Bill Condons formale Herangehensweise gut nachvollziehbar: Da permanentes Bildschirminhalteablesen zu langweilig ist, peppt der Regisseur das computer- und innenraumlastige Geschehen mit optischen Spielereien auf. Wenig gelingt Condon allerdings so überzeugend wie die regelmäßig wiederkehrenden Traumsequenzen mit Domscheit-Berg und Assange in einem monströsen, endlos groß erscheinenden Nachrichtenbüro. Die düstere Eleganz dieser Szenen passt wunderbar zu dem stilvoll-edlen Look des Films, während das enorm hohe Erzähltempo für stete Spannung sorgt – der Regisseur macht aus „Inside WikiLeaks“ einen fiebrigen Rausch aus Bildern und Informationen, die im Stakkato auf den Zuschauer einprasseln. Dabei scheitert er aber insgesamt daran, einen weitgehend abstrakten und statischen Stoff nicht nur dynamisch, sondern auch sinnfällig aufzubereiten (eine Aufgabe, die David Fincher in „The Social Network“ brillant gelöst hat). Hier ist alles ist immer in Bewegung, die ständigen Schauplatzwechsel führen durch halb Europa (mit besonders hohem Berlin-Anteil) bis nach Afrika, zur Ruhe kommt der etwas richtungslose und unstete Thriller nie, was auch an der häufig eingesetzten hektischen Handkamera von Tobias A. Schliessler („Battleship“) liegt. Das hohe Tempo geht dabei nicht nur auf Kosten der Nebenfiguren, sondern vor allem fällt ihm die erzählerische Klarheit zum Opfer.
Fazit: Bill Condons auf wahren Begebenheiten basierendes Thriller-Drama „Inside WikiLeaks - Die fünfte Gewalt“ ist ein Film auf Fast Forward – die optisch teilweise brillant aufbereitete, aber oft hektisch und wirr erzählte Geschichte eines Egomanen, der eine Revolution anzetteln wollte, letztendlich jedoch in ihr unterging.