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    Fack ju Göhte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Fack ju Göhte
    Von Andreas Staben

    Über 2,3 Millionen Kinozuschauer in Deutschland amüsierten sich 2012 über die scharfzüngigen Techtelmechtel zwischen Elyas M’Barek und Josefine Preuß in der Culture-Clash-Komödie „Türkisch für Anfänger“. Regisseur und Autor Bora Dagtekin verpflanzte seine eigene Erfolgsserie einfallsreich vom Fernsehen auf die große Leinwand und sorgte so auch im Kino für frischen Wind. Statt nun den frech überspitzten deutsch-türkischen Reibereien einfach ein weiteres Kapitel hinzuzufügen (das folgt womöglich noch), nimmt er sich in seiner neuen Komödie „Fack ju Göhte“ erst einmal die Zustände in deutschen Klassen- und Lehrerzimmern vor. Dabei ist der Titel durchaus Programm: Erneut setzt Dagtekin auf unerhörte Pointen und fröhliche Unverschämtheiten, spielt dabei genüsslich mit Klischees und sorgt gemeinsam mit der wieder von Elyas M’Barek angeführten perfekten Besetzung für köstlich ungezwungene Unterhaltung. Seine oft groben Gags funktionieren zwar nicht immer, aber trotzdem ist „Fack ju Göhte“ vielleicht sogar noch lustiger als „Türkisch für Anfänger“. Wenn der Schulschwank insgesamt trotzdem ganz leicht hinter der Integrationskomödie zurückbleibt, liegt das daran, dass der neue Film stärker in Genrekonventionen verhaftet ist. Vergleichbare Hollywood-Konkurrenz wie „Bad Teacher“ lässt „Fack ju Göhte“ trotzdem locker hinter sich, denn Dagtekins launiges Lehrer-Lustspiel ist bei aller Frechheit auch warmherzig.

    Der Ganove Zeki Müller (Elyas M’Barek) kommt nach 13 Monaten frisch aus dem Gefängnis und freut sich darauf, endlich die Früchte seines letzten Coups zu ernten. Doch als seine gute Freundin Charlie (Jana Pallaske) mit einem Spaten bewaffnet auf das Schulgelände zurückkehrt, wo sie die Beute damals für ihn verbuddelt hat, steht an der Stelle dummerweise eine frisch hochgezogene Turnhalle. Um an das Geld zu kommen, muss sich Zeki etwas einfallen lassen: Er will sich kurzerhand bei der Schule als Hausmeister bewerben, aber als er der Direktorin (Katja Riemann) gegenübersitzt, sucht die nur einen Aushilfslehrer – und zwar händeringend. Zeki ist flexibel und lässt sich trotz seiner eigenen eher rudimentären Schuldbildung als Feuerwehrkraft für Deutsch und Sport anheuern. Die nötigen Papiere ergaunert er sich, indem er sich an die idealistische aber überforderte Referendarin Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth) heranmacht. Mit seiner straßengestählten und vorlauten Art bekommt Zeki schließlich sogar die im Kollegium gefürchtete Problemklasse 10b in den Griff, die er tagsüber unterrichtet, während er nachts heimlich einen Tunnel zur Turnhalle gräbt. Im Lauf der Zeit findet er durchaus Gefallen am Lehrerdasein (und an Lisi), doch dann fliegt seine Tarnung auf…

    In Hollywoodfilmen wie „Der Club der toten Dichter“ oder „Freedom Writers“, aber auch im sozialrealistischen Cannes-Gewinner „Die Klasse“ erscheinen Lehrerfiguren oft als Vorbilder, die sich bis zur Selbstaufgabe für ihre Ideale und ihre Schüler einsetzen. Zu diesen Heldenfiguren ist Zeki Müller gewissermaßen der krasse Gegenentwurf. Er hat mit Bildung nichts am Hut, denkt nur ans schnelle Geld und will mit den halbwüchsigen Störenfrieden im Klassenzimmer nichts zu tun haben:  „Heul leise!“, schnauzt er einmal eine Schülerin an und jedem, der ihn nicht behelligt, verspricht er eine Eins. Während der Straßengauner mit der schlechten Grammatik und den rüden Umgangsformen letztlich aber nur ein nachvollziehbares Desinteresse auslebt, liegt das wahre Problem bei den echten Pädagogen und der Institution Schule selbst. Von der einfallsreich pragmatischen, aber desillusionierten Direktorin (Katja Riemann hat sichtlich viel Spaß) über die verzweifelte Veteranin (Uschi Glas), die sich aus dem ersten Stock stürzt, bis zu Karoline Herfurths Lisi, der naiven Anfängerin ohne jedes Durchsetzungsvermögen: Die liebevoll karikierten verschiedenen Typen wird jeder wiedererkennen und man begegnet ihnen durchaus mit Verständnis, denn gegen die Schüler der 10b waren Hansi Kraus und die anderen „Lümmel von der ersten Bank“ aus den Pennäler-Possen der 1970er Jahre geradezu lammfromm. Da werden nicht nur die üblichen elaborierten Streiche mit dem Mobiliar gespielt, die Null-Bock-Revolte geht vielmehr bis zum Psychoterror.

    Regisseur Bora Dagketin zeichnet das Schuluniversum mit dem groben Pinsel, aber er verliert dabei nur selten die Bodenhaftung (die fehlt eher den Szenen im Rotlichtmilieu, die reiner Kintopp sind). Der kantige Proll mit der großen Klappe erweist sich als genau die richtige Figur, um seelenloser Bürokratie und lebensfernen Lehrplänen komödiantisch den Kampf anzusagen. Mit Shakespeare geht Zeki noch vergleichsweise rücksichtsvoll um (da heißt es am Ende der Schulaufführung: „Romeo, hast Du meine SMS nicht bekommen?“), aber wenn es sein muss, wird er auch handgreiflich: So macht der Aushilfslehrer aus dem Ober-Rebellen Danger (Max von der Groeben) wieder den kleinlauten Daniel, der nach seinem Papa ruft. Pädagogisch fast ebenso fragwürdig ist der Klassenausflug, bei dem Zeki den Schülern in einer fast schon schmerzhaften, aber auch irre lustigen Montagesequenz vom Drogenabhängigen bis zum verwahrlosten Hartz IV-Empfänger abschreckende Beispiele präsentiert. Neben solch hemmungslosen Überzeichnungen gibt es aber auch leisere Töne: Am schönsten ist, wie Zeki dem Quälgeist Chantal (Jella Haase) mit kleinen Tricks und gesundem Menschenverstand hilft, eine motivierte und engagierte junge Frau zu werden. Hier wird die Witzkeule von einer gehörigen Portion Feingefühl abgefedert und die hervorragenden Darsteller lassen die unwahrscheinliche Wandlung emotional glaubhaft werden.

    Auch wer Zekis brillant-verzwickte Einzeiler wie „Achtet auf eure Ausdrucksweise, ihr Wichser!“ nicht so lustig findet und es weniger zotig mag, kommt hier durchaus auf seine Kosten. Denn neben blankem Nonsens mit boshaften Untertönen (wie bei Margarita Broichs Gastauftritt als Kontrolleurin des Jugendamtes) steckt in dem Film auch noch eine hübsche romantische Gegensätze-ziehen-sich-an-Komödie - und die geradezu klassische Konstellation funktioniert sehr gut. Elyas M’Barek („What A Man“) perfektioniert seine Paraderolle des anscheinend einfach gestrickten Macho mit dem lockeren Mundwerk und dem zunächst kaschierten großen Herzen weiter, während Karoline Herfurth („Vincent Will Meer“), die sich in Brian De Palmas „Passion“ zuletzt auf internationalem Thriller-Parkett bewährt hat, aus der verhuschten Referendarin eine ebenso komische wie anrührende Figur macht. Die Chemie stimmt und es ist ein reines Vergnügen zu beobachten, wie die Balance zwischen dem Hallodri und der Übervorsichtigen langsam ausgeglichen wird: Sie gewinnt an Lockerheit, er an Verantwortungsbewusstsein. Das ist wie der ganze Film natürlich vorhersehbar, aber auch überaus amüsant, weitgehend universell verständlich und doch unverwechselbar deutsch. Es heißt ja, Humor lässt sich nur schwer exportieren, aber mit dieser Mischung könnte Bora Dagtekin das Gegenteil beweisen – so wie jüngst etwa der Engländer Edgar Wright („Hot Fuzz“, „The World’s End“) oder der Franzose Dany Boon („Willkommen bei den Sch’tis“).

    Fazit: Bora Dagtekins zweite Kinoregiearbeit „Fack ju Göhte“ ist eine frech-witzige Komödie mit Lachern im Minutentakt, einer Prise Gefühl und glänzenden Darstellern – ganz in der Tradition seines Debüts „Türkisch für Anfänger“.

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