Jedes Licht wirft einen Schatten, und auch die glänzenden Kapitel der deutschen Geschichte haben ihre dunklen Seiten. So wird man auch der Wiedervereinigung allein mit der Folklore von „Wir sind das Volk"-Sprechchören und von freundlichen Wessis, die endlich freien Ossis aufs Trabi-Dach klopfen, nicht gerecht. Es war schließlich auch die Zeit bis heute nicht eingehaltener Versprechen (genannt seien nur die berühmten „blühenden Landschaften") und unerfüllt gebliebener Hoffnungen, was seinen Teil dazu beigetragen haben mag, dass noch immer nicht ganz zusammengewachsen ist, was zusammengehört. In dem zornigen, materialreichen Dokumentarfilm „Goldrausch" wird eines der schwärzesten Kapitel der Wiedervereinigung ins Zentrum gerückt: der Raubzug der Treuhand in den neuen Bundesländern.
Die Goldgräberstimmung, auf die der Titel verweist, beseelte nach der Wende 1989 viele Geschäftsleute, die in Ostdeutschland vor allem großartige Umsätze witterten. Die Treuhandanstalt, kurz Treuhand, hatte in diesem Umbruch als Anstalt des öffentlichen Rechts eigentlich die Aufgabe, die staatseigenen Betriebe der ehemaligen DDR so schonend wie möglich zu privatisieren. Schonend ging es jedoch, wie mehrere Massenentlassungen und Schließungen großer Unternehmen zeigten, nicht unbedingt zu. Die Treuhand wurde zum Synonym für Korruption, Misswirtschaft, Wirtschaftskriminalität und steht stellvertretend für die Einverleibung des Ostens in die wirtschaftlich ungleich stärkere Bundesrepublik, bei der ein paar Strippenzieher zu Geld, Macht und Karriere kamen, während unzählige Bürger der neuen Länder zu Wendeverlierern und Sozialfällen wurden.
„Goldrausch" ist ein in mehrfacher Hinsicht trauriger Film. Zum einen gleicht er einer Zeitreise in eine Ära, in der wahre Veränderung noch möglich schien. Doch schon damals wurden genau wie heute Entscheidungen maßgeblich von Lobbyisten und Wirtschaftsbossen beeinflusst und viel zu oft von Parlamentariern über die Köpfe des Volkes hinweg durchgeboxt. Ein wenig zornig macht es schon, wie überzeugend diese Kontinuität dargelegt wird. Inszenatorisch fällt „Goldrausch" dabei im besten Sinne des Wortes zweckdienlich, dazu sachlich und unaufgeregt aus. Dabei pendelt die geschmackssicher aufbereitete Geschichtsstunde zwischen sehr gut ausgewähltem Archivmaterial und Statements ehemaliger Beamten, die als Zeitzeugen leicht zerknirscht auf die Wendezeit und deren Folgejahre zurückblicken und ihre alten Aktenschränke durchwälzen, während sie sich eingestehen müssen, dass damals „doch schon viele Fehler gemacht wurden, an die viele Leute heute nicht gern erinnert werden". Anders als viele junge Dokumentarfilmer wie Volker Sattel („Unter Kontrolle"), Carmen Losmann („Work Hard – Play Hard") oder Michael Glawogger („Workingman's Death") greifen die Filmemacher auf einen Voice-over-Kommentar zurück, der das Geschehen so gut es geht umreißt und Zäsuren kenntlich macht. Dennoch wird es für den Laien irgendwann schwierig, den Überblick zu behalten über die Unmenge von Instanzen, Firmen, Positionen und Zahlen, die hier in ständigem Wechsel die Hauptrollen spielen und die dazu noch nahezu unentwirrbar ineinander verschachtelt sind.
Bei der Diskussion um den Endschnitt kam es zum Zerwürfnis zwischen den beteiligten TV-Sendern, der Produktionsfirma und dem ursprünglich engagierten Regisseur, der schließlich seinen Namen vom Projekt zurückzog. Handwerkliche Gründe können es kaum gewesen sein, die ihn in die Anonymität gezwungen haben: „Goldrausch" ist erstklassig erzählt und wunderbar montiert. So bleibt die Vermutung, dass der Film nicht ganz so direkt und anklagend werden durfte wie er vielleicht geplant war. Dennoch kann man dankbar sein für eine bissige und neugierig machende Dokumentation, das Publikum wird aufgefordert, sich zu informieren und sich zu empören über eklatante politische Verfehlungen der jüngeren Vergangenheit. Außerdem ist „Goldrausch" eine unmissverständliche Warnung davor, dass sich das alles wiederholen kann und wird, wenn man die Strippenzieher von damals heute wieder gewähren lässt.
Fazit: Auch wenn die fertige Fassung von „Goldrausch" letztlich wohl von einigen Kompromissen und Zugeständnissen geprägt ist, bleibt der Film immer noch ein zorniges Doku-Pamphlet über die Arroganz der Mächtigen und die Konsequenzen der Gier, die viele zu tragen und zu ertragen haben – während wenige absahnen.