Mein Konto
    Djeca - Kinder von Sarajevo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Djeca - Kinder von Sarajevo
    Von Robert Cherkowski

    Als Aida Begic vor einer Vorführung ihres dritten Spielfilms „Djeca - Kinder von Sarajevo" bei den Filmfestspielen in Cannes 2012 auf die Bühne gebeten wurde, um ein paar Worte ans Publikum zu richten, entschuldigte die Regisseurin sich zuallererst dafür, dass sie leider keine allzu optimistische Geschichte aus ihrer Heimat Bosnien zu berichten habe, dafür jedoch eine realistische. Damit war der Ton gesetzt und jeder wusste, dass die kommenden 90 Minuten nicht gerade erbaulich sein würden. „Djeca - Kinder von Sarajevo" ist eine fordernde Konfrontation mit Tristesse und Unmenschlichkeit in einem Land, in dem der kollektive posttraumatische Stress nach einem gewaltigen Menschheitsverbrechen wiederum mit Ressentiments, Verdrängung und Islamfeindlichkeit übertüncht wird. So ist „Djeca - Kinder von Sarajevo" in erster Linie forderndes Problemkino in düsterstem Grau, das erlitten werden will, besticht dabei aber ebenso durch Begics filmische Intelligenz wie durch ein stimmiges Erzählkonzept und dramaturgische Zielstrebigkeit ohne vorschnelle Antworten. „Djeca - Kinder von Sarajevo" ist ein Film aus den Abgründen des heutigen Europa, getragen von einer Hoffnung, die auch den schlimmsten Umständen trotzt.

    Ein Leben im Nachkriegsbosnien: Rahima (Marija Pikic) ackert in einer Restaurantküche und schafft es damit gerade so, sich und ihren Bruder Nedim (Ismir Gagula) über Wasser zu halten. Ihre Eltern wurden im Krieg ermordet, nun trägt Rahima die Verantwortung für Nedim. Da sie jedoch den islamischen Glauben angenommen hat, sieht sie sich immer öfter Anfeindungen von Seiten der Behörden ausgesetzt, die von tiefsitzenden Ressentiments gegenüber der muslimischen Bevölkerung geprägt sind. Besonders schwer trifft es Nedim, der in der Schule immer wieder Opfer von Übergriffen eines Halbstarken wird, der ihm für die Religion seiner Schwester die Hölle heiß macht. Als er sich eines Tages wehrt, hat Rahima plötzlich den Vater des feindseligen Jungen, den Regierungsrat Melic (Velibor Topic), am Hals. Dann entdeckt Rahima, dass Nedim sich auf dem Schwarzmarkt eine Waffe beschafft hat...

    Mit „Djeca - Kinder von Sarajevo" erzählt Aida Begic in erschütternder Ehrlichkeit von der existenziellen Verzweiflung im Bosnien der Gegenwart. Schon zu Beginn, wenn eine agile Kamera in einer minutenlangen Fahrt den stressigen und in seiner Monotonie bedrückenden Alltag Rahimas in einer Restaurant-Küche einfängt, demonstriert Begic, dass sie keine Zugeständnisse macht bei der Darstellung von Rahimas Erlebniswelt – alles wirkt deprimierend authentisch. Kameramann Erol Zubcevic ist der Protagonistin dicht auf den Fersen und lässt sie nur aus den Augen, um ihre unmittelbare, deprimierend farbenmüde Umgebung – graue Küchen, verregnete Fußgängerzonen, eine schmucklose Wohnung oder eine bedrohlich wirkende Unterführung auf dem Nachhauseweg – ins Bild zu rücken. Es ist ein Blick von unten, der mit grausamer Klarheit zeigt, dass die Sonnenseiten des Lebens für Rahima und Nedim unerreichbar bleiben werden – zumal in ihrer Welt ein archaisches Faustrecht gilt.

    Dementsprechend skrupellos treten auch die Gewinner dieser zersplitterten Gesellschaft auf. Der Regierungsrat Melic in seiner teuren Karosse, wie auch der schmierige Restaurant-Chef Rizo (Aleksandar Seksan) werden als halbseidene Gangster mit Totschlägervisagen dargestellt, denen nicht zu trauen ist. Besonders Melic hat auch noch die offensichtlich korrupten Behörden auf seiner Seite, wo der Hass auf die muslimische Bevölkerung kaum verhehlt wird. Schonungslos verweist Aida Begic auf die unverheilten Wunden und wuchernden Schuldkomplexe Bosniens. Über dem Krieg von einst liegt ein Mantel des Schweigens – so ist es auch als klares Statement zu verstehen, dass Begic für die Kontextualisierung ihrer Geschichte um Rahima und Nedim auf Archivaufnahmen aus dem Krieg zurückgreift statt selber Kampfhandlungen zu inszenieren. Und damit ruft sie bedrängende Ahnungen eines kaum vorstellbaren Grauens hervor.

    Begics Sympathien sind zwar klar auf muslimischer Seite zu suchen, aber sie preist dabei keineswegs den (islamischen) Glauben als Allheilmittel für die Probleme des Landes an. Rahimas Gottvertrauen ist hier vielmehr der Ausdruck eines gewissen Pragmatismus – die Quelle einer Hoffnung, die in der unmittelbaren Lebensumwelt bereits versiegt scheint. Auch das Buhlen des strenger gläubigen Tarik (Nikola Djuricko) betrachtet Rahima aus skeptischer Distanz, wohl ahnend, dass ihr Leben unter dem Dach einer patriarchalisch geprägten Ehe zwar wirtschaftlich geborgener, doch nicht freier wäre.

    Marija Pikic meistert die schwierige Hauptrolle mit Bravour. Sie gibt eine Heldin des Alltags, die sehr wohl fehlbar ist, jedoch immer ihrem moralischen Kompass folgt. Vor allem ist sie deswegen eine Heldin, weil sie nicht ewig jede Schikane hinnimmt, sondern ab einem bestimmten Punkt Courage und gesunden Stolz zeigt und sich den Repressalien ihrer Umwelt eben nicht mehr stumm beugt. Das mag nicht immer klug sein und kann in ihrer Situation wirklich gefährlich werden, aber für Rahima geht es um mehr als um das blanke Überleben. Es geht um Würde. So endet „Djeca - Kinder von Sarajevo" konsequenterweise mit einem Moment, nach dem es scheinbar kaum noch schlimmer kommen kann – und der dann trotzdem noch einen Hoffnungsschimmer eröffnet. Dabei bleibt Regisseurin Begic stets sachlich, sie verfällt nie in Durchhaltekitsch und das verleiht ihrem Film umso größere Wirkung.

    Fazit: „Djeca - Kinder von Sarajevo" ist ein behutsam inszenierter filmischer Blick auf und in das Bosnien der Gegenwart. Ein Film, der schockiert, wütend macht – und gerade dadurch seinem schwierigen Thema gerecht wird.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top