Mit der Sprachsoftware Siri ging Apple den nächsten Schritt: Das Handy spricht nun auch mit dem Benutzer. Das funktioniert allerdings bei weitem nicht so gut, wie es uns die Hollywoodstars Samuel L. Jackson und John Malkovich in amerikanischen Werbespots weismachen wollen: Die Schauspieler behandeln ihr mit Siri ausgestattetes iPhone fast schon wie eine gute Freundin - in der Realität wäre man von einer solchen Freundin indes recht schnell genervt, schließlich versteht sie einen so gut wie nie auf Anhieb und ihre Gesprächspalette ist auch äußerst beschränkt. In seiner Sci-Fi-Romanze „Her“ denkt der mehrfach preisgekrönte Musikvideo-Regisseur Spike Jonze die Entwicklung von Siri ausgehend von der beschönigenden Werbung noch ein paar Schritte weiter. Was wäre, wenn Siri unser ganzes Leben organisieren würde, uns dabei nicht nur perfekt versteht, sondern sogar über ein eigenes, sich immer weiter entwickelndes Bewusstsein verfügt, frei fühlen und denken kann? Dann hätte Siri nicht nur beste Chancen, wirklich ein guter Freund zu werden, sondern es könnten sogar deutlich stärkere Gefühle entstehen. Genau das erlebt der von Joaquin Phoenix gespielte Protagonist im für fünf Oscars nominierten neuen Streich des stets für einen originellen Kniff guten Indie-Darlings Jonze.
Bei seiner Arbeit in einer Art Liebesbrief-Fabrik sorgt Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) dafür, dass Menschen in Beziehungen glücklich sind, indem er mit seinen ergreifenden Texten ihr Herz berührt. Doch privat fehlt Theodore seit der Trennung von seiner Frau Catherine (Rooney Mara) das Glück. Seine Nachbarin Amy (Amy Adams), deren Ehe mit Charles (Matt Letscher) auch nicht gerade glücklich ist, versucht ihn aufzumuntern, aber er zieht sich dennoch immer weiter in seine eigene einsame Welt aus Videospielen und Telefonsex zurück – bis er ein neues, hochmodernes Betriebssystem auf seinem Computer installiert. Das System ist individuell auf den Benutzer zugeschnitten, verfügt über ein eigenes Bewusstsein und entwickelt sich stetig weiter. Theodore ist fasziniert von seinem, auf den Namen Samantha (Stimme: Scarlett Johansson) hörenden Computer. Samantha ist witzig und eloquent, kurz: ein perfekter Gesprächspartner. Schnell verlieben sich Theodore und Samantha ineinander, aber die ungewöhnliche Romanze bringt natürlich auch Probleme mit sich. Wie reagiert die Umwelt auf eine Liebe zwischen Mensch und Betriebssystem? Wie hat man Sex? Und kann man mit jemandem eine Beziehung führen, der alle deine E-Mails liest und für dich vorsortiert?
Spike Jonzes „Her“ ist keine pessimistische Vision der Dinge, die auf uns zukommen mögen, aber er betrachtet sie durchaus mit kritischen Augen und verschweigt auch die Schattenseiten des technischen Fortschritts nicht. Mit wenigen Szenen etabliert Jonze das Bild einer nahen Zukunft, in der die Menschen zwar modisch wieder einmal einen Schritt zurück gemacht haben (und die Hosen bis zum Bauchnabel hochziehen), aber technologisch dafür wahre Sprünge nach vorne vollführen: Das Betriebssystem hält längst nicht mehr nur den Computer am Laufen, sondern mittlerweile das ganze Leben. Über einen Knopf im Ohr ist man ständig mit seinem System verbunden, lässt sich seine neuesten E-Mails vorlesen, über ausgewählte Nachrichten informieren, Musik aussuchen und vieles mehr. Die Konsequenzen dieser programmierten Rundumbetreuung zeigt uns Jonze gleichsam nebenbei und ohne mahnenden Zeigefinger, aber auf dennoch sehr eindrückliche Weise: Ob in der U-Bahn oder auf dem Fußgängerweg - alle sprechen unentwegt vor sich hin, reden aber nicht miteinander. Jonze verstärkt diesen Eindruck des Aneinander-vorbei-Existierens noch, indem er viele der Außenaufnahmen im chinesischen Shanghai drehte, dessen Geschäftszentrum Pudong heute schon so futuristisch und kalt wirkt wie die Science-Fiction-Welt von „Her“. Die wiederum mag äußerlich kühl daherkommen, aber in ihr schlägt das heiße Herz einer echten Liebe.
Mit seiner eigenwillig-versponnenen Art hat Spike Jonze bereits in seinen herausragenden bisherigen drei Langspielfilmen „Being John Malkovich“, „Adaption“ und „Wo die wilden Kerle wohnen“ aus dem Besonderen etwas ganz Selbstverständliches werden lassen – und nun erzählt er auch von der Liebe zwischen Mensch und Maschine, als gebe es nichts Natürlicheres auf der Welt. In der Romanze zwischen Theodore und Samantha gibt es eben keine spöttische Distanzierung und wenn sie das erste Mal Sex haben, wird die in mehr als einer Hinsicht delikate Szene in Jonzes Händen zu einem kleinen Wunderwerk purer Emotion. Spätestens hier ist die auf den ersten Blick so absurd klingende Geschichte ungemein herzerwärmend – und das wiederum liegt nicht zuletzt auch an den Schauspielern. Joaquin Phoenix („The Master“), der sonst die großen Gesten durchaus nicht scheut, verkörpert den nach einer gescheiterten Beziehung komplett zurückgezogen lebenden Theodore mit geradezu minimalistischer Perfektion und scheinbar grenzenlosem Einfühlungsvermögen. Mit Scarlett Johansson („Lost In Translation“) als Samantha hat er (in der Originalfassung) die ideale Partnerin, weil die verständnisvoll-witzig-neugierige Art dieser etwas anderen Geliebten in ihrer Darbietung noch stärker in der Stimme selbst als in den Worten, die sie spricht, zum Ausdruck kommt.
Auch wenn „Her“ gegen Ende kleine Längen hat und Jonze ein wenig zu offensichtlich auf die Probleme zusteuert, die auf Theodore und Samantha zukommen, ist der Film über weite Strecken nicht nur berührend, sondern auch ungemein komisch. Der Humor steckt dabei weniger in der Liebesgeschichte selbst als vielmehr in einzelnen Szenen am Rande, wie zum Beispiel in einer aus dem Ruder laufenden Telefonsexerfahrung von Theodore mit einer gewissen SexyKitten (Stimme: Kristen Wiig) oder auch in dem Videospiel, mit dem er immer wieder die Zeit totschlägt. Das 3D-Spiel wird mitten ins Wohnzimmer projiziert, mit lächerlich wirkenden Handbewegungen sorgt Theodore dafür, dass seine Spielfigur eine Höhle erkundet, wo er auf ein Alien-Kind (Stimme: Spike Jonze) trifft. Dieser Außerirdische erinnert schon rein optisch an den Teddybären Ted aus Seth MacFarlanes gleichnamiger Erfolgskomödie und hat überdies auch ein ähnlich unflätiges Mundwerk. Und vor allem beschränkt das fluchende Alien seine bösen Kommentare nicht auf das Spielgeschehen, sondern hat auch zu Theodores Privatleben immer wieder etwas (nicht immer jugendfreies) zu sagen: In der so vertraut wirkenden Zukunft von „Her“ haben auch die Videospielfiguren bereits einen eigenen Willen.
Fazit: Spike Jonze erreicht mit seiner kühnen Sci-Fi-Romanze „Her“ nicht durchgängig das Niveau seiner vorigen Meisterwerke, beweist aber erneut, dass er zu den originellsten Filmemachern des amerikanischen Kinos gehört.