„Ich hasse Menschenmengen. Ich mag die Natur. Ich verabscheue Lärm. Ich liebe Stille." Das sagt die Schauspielerin Birge Schade („Bin ich sexy"), 2005 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, über sich selbst. Man könnte daher fast annehmen, Regisseur und Drehbuchautor Markus Busch habe der gebürtigen Schleswig-Holsteinerin, die in München ihr Handwerk erlernte, die Hauptrolle in seinem neuen Film „Die Räuberin" direkt auf den Leib geschrieben. Die heutige Wahl-Berlinerin verkörpert darin nämlich eine ausgebrannte Künstlerin, die der Münchener Kunstszene entflieht, weil sie in der Abgeschiedenheit Nordfrieslands Ordnung in ihr Leben bringen und dabei wieder zu sich selbst finden möchte. Buschs sensibles Drama wartet mit zwei prächtig aufspielenden Hauptdarstellern auf, bleibt aber überraschungsarm. Vor allem auf der Zielgeraden fehlt dieser „Räuberin" die erzählerische Wucht.
Die 43-jährige Künstlerin Tania Kalsmaier (Birge Schade) kehrt der bayerischen Landeshauptstadt den Rücken und mietet zum Winteranfang ein kleines Häuschen an der Nordseeküste – fernab vom Großstadttrubel und der Kunstszene, die sie seit Jahren satt hat. In dieser frostigen Tristesse trifft sie unter argwöhnischen Einheimischen und pubertierenden Dorfjugendlichen auf den 15-jährigen Thore (Daniel Michel). Anders als seine lüsternen Altersgenossen interessiert sich der Jugendliche nicht nur für Tanias Hinterteil, sondern auch für ihr Schicksal – und übt als Außenseiter mit morbiden Alpträumen sofort eine Faszination auf sie aus. Schon bald wird aus dem anfangs noch platonischen Verhältnis mehr, denn trotz des Altersunterschieds verbindet die beiden ein unausgesprochenes Verständnis füreinander. Doch Tania trägt seit Jahrzehnten ein Trauma mit sich herum, das sie langsam einholt...
Vieles in „Die Räuberin" ist vorhersehbar – die unvermeidliche Konfrontation mit der örtlichen Bäckereifachverkäuferin, bei der sich die verwöhnte Münchenerin über die schlechte Brotqualität beklagt („Dann kaufen Sie Ihr Brot doch wieder in München!"), steht für eine ganze Reihe von Konflikten, die der Besuch der prominenten Künstlerin in der Einöde mit sich bringt. Die Begegnungen mit den Norddeutschen, die mit der intellektuellen Tania wenig anfangen können und ihre Abneigung offen zeigen, gipfeln nach einem Zwischenfall gar in einer handfesten Prügelei. Hier geht der langjährige TV-Drehbuchautor Markus Busch, der zuletzt für Dominik Graf die Episode „Komm mir nicht nach" des experimentellen Dreiteilers „Dreileben" verfasste, erfreulicherweise mal einen Schritt weiter, als man es erwartet. Der gebürtige Münsteraner haucht seinem Regie- und Leinwanddebüt gehörig nordfriesisches Lokalkolorit ein und porträtiert das namenlose Nordseenest als einen Ort, in dem die Straßen im Winter ausgestorben leerstehen.
Seine Geschichte legt er dagegen ausgesprochen geradlinig an: In „Die Räuberin" dreht sich alles um das ungewöhnliche Band zwischen Tania und ihrer „Beute", den jungen Thore, den sie trotz Starker-Mann-Gebärden schnell als sensiblen Außenseiter demaskiert. Nur im Kreis seiner Altersgenossen kann sich Thore gegenüber der geistig überlegenen Tania behaupten. Derweil wird die Künstlerin für ihn schnell zur Ersatzmutter, großen Schwester und erfahrenen Liebhaberin in Personalunion – doch seine Zuneigung ist nie naiver, nie vorschneller Natur. Dass der Teenager eine Wochenfrist, die ihm Tania setzt, bis zum letzten Tag ausreizt, zeugt von reiflicher Überlegung. Damit wird ein cleverer Bursche skizziert, der genau weiß, dass die Künstlerin ihm die seltene Chance bietet, der Tristesse und dem ungeliebten Elternhaus zu entfliehen.
In einer der besten Sequenzen des Films lässt Tania den jungen Thore am eigenen Leib erfahren, wie sie ihren Ex-Partner einst zu verletzen versuchte: Daniel Michel („Dorfpunks") gibt bei der verstörten Reaktion des Jugendlichen eine überzeugende Kostprobe seines schauspielerischen Talents ab und empfiehlt sich mit einer starken Leistung nachhaltig für größere Kinoprojekte. Außerdem harmoniert er prächtig mit seiner erfahreneren Leinwandpartnerin Birge Schade („Baader"). Was „Die Räuberin" aber fehlt, ist eine markante Schlusspointe: Hat Thore das Geheimnis, das Tania mit sich herumträgt, nach langen Gesprächen und der ersten gemeinsamen Nacht endlich herausgekitzelt, stellt sich doch eine gewisse Ernüchterung ein. Das soll es bereits gewesen sein?
Fazit: Trotz Schwächen im Detail ist Markus Buschs Nordseedrama „Die Räuberin" mit seinen starken Hauptdarstellern, prächtigen Küstenbildern und authentischen Figuren durchaus ein Geheimtipp für alle, die nach Alternativen zu krawalligen Blockbustern suchen.