Als die Kinderbuchautorin P.L. Travers erbost in das Büro des Micky-Maus-Moguls Walt Disney stürmt, um sich über seinen Umgang mit „ihrer“ Mary Poppins zu beschweren, drückt der Kettenraucher schnell seine Zigarette aus: Keiner darf ihn bei dieser schlechten Angewohnheit ertappen. Es ist das einzige Mal, dass wir den von Tom Hanks gespielten Unterhaltungsgiganten im Verlauf von „Saving Mr. Banks“ in der Nähe eines Glimmstängels sehen. Dafür haben den Gerüchten aus der Traumfabrik zufolge die Produzenten des Disney-Konzerns zum Unbehagen von Hanks und von Regisseur John Lee Hancock gesorgt, weil das sorgsam gepflegte Saubermann-Image des Firmengründers auf keinen Fall befleckt werden sollte. Mit der erwähnten Szene weisen die Macher immerhin recht vieldeutig darauf hin, dass das äußere Bild einer Person oft nur wenig mit ihrem tatsächlichen Charakter zu tun hat. Abgesehen von diesem Schlenker werden die dunkleren Seiten von Disneys Persönlichkeit (und gegen seine frauen- und judenfeindlichen Züge, die Meryl Streep kürzlich bei einer Preisverleihung an die wunderbare Travers-Darstellerin Emma Thompson unverhohlen ansprach, ist das Rauchen nun wirklich harmlos) geflissentlich verschwiegen, aber „Saving Mr. Banks“ ist schließlich auch keine Filmbiografie des Tycoons, sondern ein unterhaltsam-gefühlvolles Hollywood-Märchen über die Entstehung eines seiner beliebtesten Klassiker – und dabei sind die harschen Fakten gegenüber der schönen Fiktion eben durchaus auch einmal zweitrangig.
Schon seit 20 Jahren hat die Schriftstellerin P.L. Travers (Emma Thompson) dem Werben aus Hollywood widerstanden und alle Angebote des berühmten Produzenten Walt Disney (Tom Hanks) für die Filmrechte an ihrem Kinderbuch „Mary Poppins“ abgelehnt. Doch inzwischen gehen die Einnahmen zurück und ihr Agent (Ronan Vibert) rät der Autorin eindringlich, die Offerte aus Amerika ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Travers fliegt schließlich 1961 von London nach Los Angeles, um sich Disneys Pläne persönlich anzuhören. Sie ist entsetzt, als sie erfährt, dass er aus „Mary Poppins“ ein Musical machen will, in dem zu allem Überfluss auch noch Zeichentrickelemente enthalten sein sollen. Die resolute Autorin legt ihr Veto ein, erklärt sich aber bereit, das fertige Skript gemeinsam mit dem Drehbuchschreiber Don DaGradi (Bradley Whitford) sowie dem Komponisten-Brüderpaar Richard (Jason Schwartzman) und Robert Sherman (B.J. Novak) zu überarbeiten. Es kommt regelmäßig zu scheinbar unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten, die auch Disney persönlich nicht beenden kann. Travers fühlt sich fremd im ständigen Sommer Kaliforniens und wird zudem von Erinnerungen an ihre Kindheit und ihren Vater Travers (Colin Farrell) geplagt. Einzig der Chauffeur Ralph (Paul Giamatti) kommt der distanzierten Frau allmählich ein wenig nahe…
Die Darstellung von Walt Disney in „Saving Mr. Banks“ mag im Vorfeld für besondere Diskussionen gesorgt haben, allerdings ist er im Film nur eine (wenn auch wichtige) Nebenfigur. Tom Hanks spielt ihn als eine Kombination aus großem, sentimentalen Kind, knallhartem Geschäftsmann mit ehrbaren Zielen und waschechtem Entertainer: Wenn er den renitenten Gast aus Übersee voller Stolz und mit echter Freude durch seinen Freizeitpark Disneyland führt, dann nutzt er die Attraktion zugleich ganz gezielt, um seine Verhandlungsziele zu erreichen (und die vorgedruckten Autogrammkarten hat er auch immer griffbereit). Diese Mischung aus Kalkül und Gefühl wie sie dem Vater von Micky Maus hier zugeschrieben wird ist bis heute bei vielen Produktionen, die den (Marken-)Namen Disney tragen, zu erkennen und sie prägt auch „Saving Mr. Banks“. Die Konflikte um die Entstehung von „Mary Poppins“ werden in einer nicht gerade subtilen Folge von dafür äußerst unterhaltsamen Szenen ausgetragen und am Ende in einem beschönigenden und dennoch bewegenden Finale aufgelöst. Dass dies alles insgesamt überzeugend gelingt, liegt zu einem großen Teil an Hauptdarstellerin Emma Thompson („Sinn und Sinnlichkeit“), die ihre verstockte Autorin nie zu einer Karikatur verkommen lässt.
Die Arbeitssitzungen der verständnislosen Travers, die auf Förmlichkeit und Etikette beharrt, mit den hemdsärmeligen Disney-Mitarbeitern sind komische Kleinode und willkommene Gelegenheit einige der unsterblichen Melodien aus „Mary Poppins“ zu Gehör zu bringen. Und wenn die Autorin bei „Let’s Go Fly a Kite“ endlich nachgibt, erst zaghaft mit dem Fuß wippt, um dann sogar in den Gesang der Sherman-Brüder und des Drehbuchautors einzustimmen, dann mag das nüchtern betrachtet mehr oder weniger aus dem Nichts kommen – schön ist es trotzdem. Dazu passt die herzliche 60er-Retro-Atmosphäre mit der am Sherman-Sound orientierten Filmmusik von Thomas Newman („American Beauty“) und der hübsch-adretten Ausstattung (besonders beeindruckend ist die zu Travers‘ Begrüßung im Hotelzimmer deponierte Sammlung historischer Disney-Merchandise-Artikel und -Plüschtiere), die den passenden Rahmen für die gefühlvollen Szenen mit Travers und ihrem Chauffeur (Paul Giamatti in einer einprägsamen Nebenrolle) abgibt. Hier wird die zaghafte Wandlung der zugeknöpften Schriftstellerin emotional glaubhaft, während deren psychologische Unterfütterung durch zahlreiche Rückblenden in Travers‘ Kindheit in Australien weniger gelingt. Zum einen sind die Sprünge oft viel zu plump umgesetzt (da ist die Rede von einem Bart und - schwupps - sehen wir Colin Farrell als innig geliebten Vater beim Rasieren) und außerdem unterbrechen sie den Erzählfluss immer wieder.
Die Rückblenden stören trotz der famosen Leistungen von Newcomerin Annie Rose Buckley, die die spätere Autorin als Kind verkörpert, und Farrell in seiner Paraderolle als melancholischer Trunkenbold nicht nur den Erzählrhythmus, sondern stehen auch für ein anderes Problem: In diesem Film wird nichts dem Zufall überlassen und kein Geheimnis bleibt ungelüftet. So wird nicht nur enthüllt, wer Mr. Banks – in „Mary Poppins“ der Vater der Kinder, die von der Heldin betreut werden – wirklich ist, sondern auch das reale Vorbild für das berühmte Kindermädchen selbst wird identifiziert. Und auch das Innenleben der Protagonistin wird fein säuberlich geordnet. Wenn wir am Ende erfahren, warum Emma Thompson anfangs die Birnen aus dem Obstkorb im Hotel wutentbrannt über den Balkon wirft, dann ist das in seiner Eindeutigkeit ziemlich banal. Dieser Zwang, Ursache und Wirkung immer klar zu benennen, entwertet letztlich auch die im Ansatz hochinteressante Reflexion über künstlerische Motivation und Inspiration, die auch im Zentrum von Tom Hanks‘ großem Abschlussmonolog steht. So bleibt „Saving Mr. Banks“ in der emotionalen Wirkung ein wenig hinter John Lee Hancocks vorigem Schmachtfetzen „Blind Side – Die große Chance“ zurück und ist in erster Linie als Hommage an Disneys „Mary Poppins“ gelungen.
Fazit: Hollywood erzählt von sich selbst und seiner goldenen Vergangenheit: „Saving Mr. Banks“ ist ein verklärend-unterhaltsames Retro-Märchen von Disney über Disney, über einen seiner berühmtesten Filme und die Frau, die diesen erst möglich gemacht hat.