„Detlef ist nicht in Ordnung, der ist doch homo", sagte die Tante. „Was ist das?", fragte Detlefs Mutter. Da war Detlef, geboren 1950, noch ein Kind und Homosexuelle rangierten in der Außenseiterskala kurz hinter Aliens. Inzwischen feiern jedes Jahr Zehntausende Homo-, Bi- und Transsexuelle auf dem Cristopher Street Day, es gibt in Deutschland offen schwule Schauspieler, Moderatoren und Politiker. Das ist möglich, weil in den 1970ern verstärkt Aktivisten begannen, sich gegen Anfeindungen, böse Blicke und starke Widerstände zu wehren – und das mit allerlei unterhaltsamen und provokanten Mitteln. In ihrem Dokumentarfilm „Detlef" porträtieren Stefan Westerwelle und Jan Rothstein auf bunte und mitreißende Weise einen dieser Protagonisten der Schwulenbewegung: Detlef Stoffel.
60 Jahre schwul (so der Untertitel des Films) – das ist Detlef Stoffel. Detlef hatte sein Coming-Out in den USA, gründete 1972 die „Initiativgruppe Homosexualität Bielefeld" und lebte in der ersten Schwulen-WG der ostwestfälischen Stadt. Er drehte selbst einen Dokumentarfilm über Schwulendiskriminierung und hielt mit einer Videokamera viele Aktionen der Homosexuellenbewegung in den 1970ern fest, darunter Aufführungen der Theatergruppe „Brühwarm" mit Corny Littmann und Lilo Wanders. Diese beiden sowie der Schauspieler und Sänger Gustav Peter Wöhler („Urlaub vom Leben") erzählen vor der Kamera, wie sie Detlef und die wilden Zeiten damals erlebten. Dazu lassen die Regisseure auch ihren Titelhelden selbst ausführlich zu Wort kommen. Später gründete Detlef mit „Löwenzahn", den ersten Naturkostladen im Raum Bielefeld, anfangs ein Ort, an dem offenes Schwulsein am Arbeitsplatz möglich war. Heute kümmert Stoffel sich um seine 91-jährige Mutter. Er resümiert, was der Aktivismus und das Engagement gebracht haben, fragt sich, was er mit seinem Leben anfangen soll und leidet zeitweise an Depressionen.
Detlef Stoffel ist jemand, dem man seine bewegte Vergangenheit nicht sofort anmerkt. Die Regisseure Westerwelle und Rothstein bauen ihren Film geschickt so auf, dass man den Protagonisten langsam kennenlernt: Vom ersten Eindruck gehen sie immer weiter und tiefer und entblättern mit jeder Sequenz neue und überraschende Aspekte. Heute ist Detlef ein attraktiver 60-Jähriger, dessen Tage mit der Pflege seiner Mutter, sowie dem Zeitvertreib mit dem Kontaktportal GayRomeo und Seifenopern gefüllt sind. Dann öffnet er eine riesige Holzkiste, die Filmemacher unterlegen das mit Rio Reisers „Lass uns ein Wunder sein". Detlef holt Historisches, Politisches und Persönliches aus den 1970ern aus seiner Schatztruhe, darunter Filme, Bilder und Briefe. Zu sehen sind bunt bemalte und extravagant gekleidete Aktivisten auf Bühnen und in Fußgängerzonen, sie singen, tanzen, diskutieren und provozieren. Dazu die Reaktionen: pikiert schauende Passanten, empörte Nachbarn („Die küssen sich sogar auf offener Straße").
Allmählich setzt sich das Bild eines mutigen, kämpferischen Mannes zusammen, der „Leader of the Pack" in Bielefeld war, wie Lilo Wanders es beschreibt. Und Bielefeld war damals, jedenfalls was die Homosexuellenbewegung betrifft, nicht etwa Provinz, sondern neben Berlin die Hauptstadt. Die Filmemacher beweisen nicht nur ein gutes Gespür beim Porträtieren von Detlef (besonders hervorzuheben die Kamera von Jan Rothstein), sondern wählen aus den Unmengen von Filmmaterial – darunter auch TV-Sendungen - einen hervorragenden Querschnitt aus, der die Euphorie bei den Aktionen zeigt, aber auch die aggressiven Diskussionen und den Widerwillen vieler heterosexueller Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Fazit: Detlef Stoffel hat die Schwulenbewegung entscheidend mitgeprägt und erlebte eine wilde, freizügige und engagierte Zeit. Bei allem Spaß, den man beim Anschauen dieses gelungenen Filmporträts eines bemerkenswerten Menschen hat, wird klar, wie hart der Weg bis heute war und noch ist. „Detlef" trägt dazu bei, dass wir das nicht vergessen.