Eine gespenstische Szene in der blendenden Glut des Sommers. Die mühsam zusammen geschusterte Bahnstation mit einem einsamen alten Bahnwärter, der nicht weiß, was mit ihm geschieht, als ihn drei Männer einsperren. Nur eine winzige Öffnung in der Tür ermöglicht dem alten Mann einen ängstlichen Blick nach draußen. Ein Telegramm tickert in die Stille hinein. Ein leichter Wind ist zu hören. Eine Fliege hat sich auf dem bärtigen, verschwitzten Gesicht von Snaky (Jack Elam) breit gemacht. Snaky versucht, sie weg zu pusten. Er tötet sie nicht, er spielt mit ihr wie die Katze mit der Maus, bevor sie ihr den tödlichen Biss versetzt. Der Wind lässt eine Tür klappern. Snaky vertreibt die Fliege, die sich an die Wand flüchtet. Er fängt sie mit dem Lauf seines Revolvers, hält die Hand an die Mündung. Die Fliege im Inneren des Laufs scheint zu jammern.
Als der erwartete Zug einfährt, ist das Spiel zu Ende. Die drei Männer postieren sich auf dem mit Brettern notdürftig erstellten Bahnstationsplatz. Niemand scheint ausgestiegen zu sein. Erst als der Zug weiterfährt, steht auf der anderen Seite der Schienen ein Mann – Harmonica (Charles Bronson). Der Mann fragt nach einem Frank und nach einem Pferd für ihn. Man habe nur drei Pferde, bekommt er zur Antwort. „Ihr habt zwei zu viel“, antwortet Harmonica und erschießt die drei Männer so schnell und präzise, dass es schwer fällt, dem Geschehen zu folgen.
Mit Worten ist diese Szene, begleitet von dem berühmt gewordenen Mundharmonikaspiel, kaum zu beschreiben. Welten treffen hier aufeinander, deren wahrer Charakter sich erst im Laufe des Films herauskristallisieren. Die Welt der Eisenbahn, die Welt des Westens (und des klassischen Westerns und seiner Dekonstruktion), die Welt der rohen Gewalt und die der Macht des Geldes, des großen Hobels der beginnenden „Moderne“, die Welt des „eher anständigen“ und des „eher unanständigen“ Amerikas.
Henry Fonda zum Beispiel, der Schauspieler, der in fast allen Rollen zuvor den aufrechten, ehrlichen, mutigen männlichen Amerikaner verkörperte, den wahrhaftigen Mann, der zur Not allein gegen alle kämpfte (exemplarisch z.B. in Sidney Lumets „Die zwölf Geschworenen“, 1957) – hier ist er der skrupellose Mörder Frank, der den ehrlichen Farmer Brett McBain (Frank Wolff) (der sich durch den Kauf eines Stück Landes Gewinn versprochen hatte, weil die Eisenbahn daran vorbeifahren würde) und seine drei Kinder erschießt, weil sich McBain weigerte, das Land an die Eisenbahngesellschaft zu verkaufen, die von dem krebskranken Morton (Gabriele Ferzetti) geleitet wird. Morton kritisiert Frank, weil der McBain nur einschüchtern sollte, weich machen für ein geldliches Angebot Mortons.
Die Figuren werden aufgestellt: Morton, todkrank, verfolgt einen Traum. Er will noch erleben, wie die Eisenbahn den Pazifik erreicht; seine Waffe ist das Geld. Frank hat auch einen Traum: Geld und Einfluss zu erlangen; seine Waffe ist der Colt. McBain hatte einen Traum: nach dem Tod seiner Frau ein Stück Land, um das herum er eine Stadt aufbauen wollte, und eine neue Frau, Jill (Claudia Cardinale), die er einen Monat zuvor in New Orleans geheiratet hatte. Jill hatte einen Traum: Sie war Prostituierte und sah in McBain die Chance, diesem Leben zu entspringen – ein gut bürgerliches zu führen. Jill kommt am Bahnhof des Nestes Flagstone an, Sam (Paolo Stoppa) bringt sie zur Farm – zu den Leichen ihrer Familie. Familie – das gab es bei Sergio Leone (1929-1989) nicht. Sie wird destruiert oder sie kommt gar nicht erste zustande. Familie – das steht nicht nur für die Mann-Frau-Kind-Familie, es steht hier für jede Form von Gemeinschaft, Vertrauen, Zuneigung. All das wird gnadenlos zerstört.
Frank, der das Anwesen McBains in die Finger bekommen will, beabsichtigt nicht etwa, Jill zu heiraten, nein, er hat zu diesem späteren Zeitpunkt schon eine Ahnung davon, wie es in der neuen Zeit zugehen wird. Nur Geld kann ihm mehr Geld verschaffen.
Die Träume der Personen – seien sie nun guten Willens oder böser Absicht – zerrinnen in der Hitze des Sommers wie der letzte Wassertropfen auf dem heißen Stein. Nur einer scheint den Überblick bewahrt zu haben: Harmonica, der eine merkwürdige Allianz eingeht mit dem Banditen Cheyenne (Jason Robards), den man zunächst verdächtigt, McBain und seine Kinder ermordet zu haben. Harmonica – das könnte fast Leone selbst sein, ein Beobachter des Geschehen und doch zugleich zutiefst in es involviert.
Währenddessen bricht die neue Zeit, der amerikanische Kapitalismus, wie wir ihn kennen oder zu kennen glauben, unerbittlich herein. Ein Schienenstrang nach dem anderen bricht sich den Weg in die neue Zeit. Die Eisenbahn ist nur die erste Objektivation, das erste Symbol dieser neuen Zeit. Ihre Gewalttätigkeit wird noch als Freiheit empfunden, es wird noch nicht gesehen, welche Opfer und Verbrechen, welche tragischen Schicksale mit dieser neuen Zeit verknüpft sein werden. Harmonica ist der einzige, der etwas davon zu ahnen scheint. Und doch ist sein Schicksal mit dem der alten Zeit gnadenlos verknüpft. Für seinen Konflikt mit Frank scheint es nur eine Lösung zu geben: den Tod Franks. Die persönliche Rache verbietet es, dass Frank von anderen gemeuchelt wird. Harmonica schützt ihn sogar vor Mord durch andere. Harmonica und Cheyenne helfen der jungen Witwe, aber vor allem, weil sie eigene Motive haben: Rache (Harmonica) und Geld für den verbrechensfreien Rest des Lebens (Cheyenne).
Und Jill? Als sie bei ihrer Ankunft auf der Farm die vier aufgebahrten Leichen sieht, da schwinden alle ihre Träume. In ihrem Gesicht zeichnen sich Verzweiflung, Unverständnis, aber auch Rachegefühle ab. Später lässt sie sich zum Schein auf Frank ein; das hat sie gelernt, sich auf Männer scheinbar einzulassen.
Der Tod ist der ständige Begleiter der Handelnden. Und die Gesichter, in denen sich der Tod ankündigt. Ganz nah heran fährt die Kamera an Franks, Harmonicas, Jills, Cheyennes Gesichter. Schon in der Anfangssequenz, dieser wohl längsten, „sprachlosen“ Einleitung eines Films, fährt die Kamera direkt in die durch Bartwuchs und tief ins Gesicht gezogene Hüte verborgenen Gesichter, um etwas zu erfahren, zu ergründen. Fast all diesen Gesichtern steht der Tod „ins Gesicht“ – nichts weiter. Diese langen Fahrten in die Gesichter und in die wechselseitigen Blicke der Protagonisten, die nichts Gutes verkünden, korrelieren mit den endlos ausgedehnten Duellen. Leone weidet diese Duelle (Harmonica gegen die drei Banditen, Harmonica versus Frank) visuell aus; niemand kann ihnen entkommen – im Gegensatz zu vielen anderen Western.
Er reduziert diese Duelle, die im Genre als heroische und glanzvolle Höhepunkte gelten, auf ihren Mythos, ihre Unwahrscheinlichkeit, ihre Ideologie, ihren falschen Schein, und wechselt hart zwischen diesen und der knallharten Realität des Geschehens. Das ermöglicht ihm, die Gewalt in den Duellen als mageres „Anhängsel“ einer Gewalt zu visualisieren, die in der (ökonomischen) Veränderung der Zeit ihren Grund findet. Dieser Kontrast wäre allerdings kaum darstellbar gewesen ohne die in dieser Hinsicht enorm wichtige Musik Ennio Morricones, die dem das Detail liebenden Regisseur mehr als nur entgegenkam, sowie die ironischen, teils auch sarkastischen „Schlenker“, die in einige Szenen (z.B. in der Eingangssequenz) Eingang gefunden haben.
Leone, der eigentlich nach „Zwei glorreiche Halunken“ keine Western mehr inszenieren wollte, destruierte das Genre, aber vor allem zerstörte er den Mythos vom amerikanischen Traum – vielleicht ein Grund neben dem „unamerikanischen“, elegischen Stil seiner Inszenierung, warum der Film in Amerika zu einem Misserfolg wurde.
Die hervorragende Besetzung und die ebenso exzellente Fotografie Tonino delli Collis machen „C’era una volta il West“ zu einem besonderen Klassiker.