Manche Filmemacher wollen ihrem Kinopublikum mehr als nur einen schönen Abend bescheren. Sie wollen ihm eine möglichst aufwühlende Zeit bereiten und es mit schonungslosen Bildern heimsuchen, um ihre Botschaften an den Mann und an die Frau zu bringen. Regisseure wie Bruno Dumont („29 Palms") und Michael Haneke („Funny Games") haben mit nicht selten bleischweren thematischen Provokationen immer wieder einen offenen Konfrontationskurs gegen ihre Zuschauer eingeschlagen: Eine schallende Film-Ohrfeige hallt eben länger nach als all die Streicheleinheiten des klassischen Unterhaltungs- und Erzählkinos. Mit seinem Drama „Just the Wind" wagt es nun auch Bence Fliegauf, seinem Publikum nachhaltig die Laune zu verderben – mit gutem Grund!
Seit Monaten verbreitet eine brutale Mordserie an Sinti und Roma Angst und Schrecken in der ungarischen Provinz. Ganze Familien wurden dabei bereits niedergestreckt. Die Polizei tappt im Dunkeln, gibt sich allerdings auch keine große Mühe, den Fall aufzuklären – offenbar bestehen Sympathien für die fremdenfeindlichen Täter. Wenige Tage nach dem letzten Mord herrscht auch in Maris (Katalin Toldi) Roma-Familie nackte Angst. Dennoch versucht die vierköpfige Gemeinschaft, bestehend aus Mari, Tochter Anna (Gyöngyi Lendvai), Sohn Rio (Lajos Sárkány) und dem bettlägerigen Großvater (György Toldi), ihren Alltag fortzusetzen. Während Mari ihrem Job als Putzkraft nachkommt und Anna ihren harten Schultag erduldet, wagt sich Rio bis zum letzten Tatort vor. Und immer wieder fällt ihm ein mysteriöser schwarzer Wagen auf...
„Just the Wind" ist genau das, wonach es klingt: bitteres und in Form und Inhalt deprimierendes Problemkino mit Schlechte-Laune-Garantie. Der Film ist eine Übung in Tristesse, vollkommen schmucklos wird hier ein ernüchterndes Leben in einer der gottverlassensten Gegenden Europas geschildert. Provinzromantik hätte sich bei so einem Thema aus Prinzip verboten. Und so gibt es hier auch, vielleicht abgesehen von Maris Familie, keinerlei Identifikationsfiguren: In der Schule wird Anna aufgrund ihrer Herkunft schikaniert, sogar von ihren Lehrern. Sie wird für einen Diebstahl beschuldigt, mit dem sie nichts zu tun hat. Und in einer Umkleidekabine kommt es zu einer Vergewaltigung, die von allen, auch von Anna, ignoriert wird.
Auch Mutter Mari ist ständig Anfeindungen auf offener Straße ausgesetzt. Das Menschenbild in „Just the Wind" ist rabenschwarz. Hier ist sich jeder selbst der Nächste, selbst die Polizei zeigt offen Sympathien für die Mörder. Ungeschönt beobachtet Fliegauf ein Leben ohne Perspektiven. Längst wurden die Leiden der Roma-Gemeinschaft an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung Europas verdrängt. Im ärmlichen Hinterland, fern jeder schützenden Gesellschaft, wirkt die Familie wie ein Vogel auf der Stange, der auf seinen Abschuss wartet. Über jedem Bild scheint hier ein böses Omen zu liegen, eine Ahnung, dass auf diesen schmerzhaft normalen Tag kein Morgen folgen könnte.
Den drohenden Gewehrschüssen ist bereits eine gesellschaftliche Auslöschung vorausgegangen. Die Atmosphäre der Entmenschlichung, des Misstrauens, der Angst und der Selbstaufgabe ist hier allgegenwärtig. Ein unheimlicher atonaler Klangteppich erinnert auch in scheinbar banalen Szenen daran, wie der Tag enden könnte. Bei all der Hässlichkeit sind es so gerade kleine Gesten der familiären Zärtlichkeit, die kurz vor dem Finale eine ungeheure Wirkung entfalten und den Figuren eben doch noch eine enorme Fallhöhe verleihen. Diese Szenen lassen hoffen, dass auch an den schmutzigsten Orten noch eine Notration Hoffnung verfügbar ist.
Fazit: Mit seinem verstörenden und auch formal konsequenten Sozialdrama „Just the Wind" versetzt Bence Fliegauf seinem Publikum einen Fausthieb in den Magen. Hier sollte man nicht wegschauen, so weh es auch tun mag.