Mein Konto
    Jasmin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Jasmin
    Von Robert Cherkowski

    „If it bleeds it leads" - Gewalt schafft Publikumsinteresse. Seit seinem Anbeginn setzen die Kinomacher auf den Schauwert und das Spektakel der Gewalt. An nichts haben die Boulevardpresse und reißerische Fernsehsendungen so unverhohlen voyeuristische Freude wie an Gewaltverbrechen. Man weiß um die schockierende Wirkung von Ehrenmorden, Familientragödien, Eifersuchtsdramen oder sonstigen fatalen Zuspitzungen. Geschürt werden dabei Hass und Abscheu, man suhlt sich in der Benennung blutrünstiger Details. Auch in „Jasmin" wird eine Geschichte erzählt, wie man sie sonst von reißerischen Schlagzeilen her kennt, doch verweigert sich Regisseur Jan Fehse hier der Attraktion des Verbrechens und der Dämonisierung seiner Titelheldin. Vielmehr inszeniert er ein einfühlsames Kammerspiel über eine junge Frau, die durch Gefühle extremer Aussichtslosigkeit zum Äußersten getrieben wird. Hier steht der Mensch mit seiner Schuld, seiner Scham und seinem Schmerz im Mittelpunkt. Fragen werden gestellt und Antworten gegeben. Ob es die richtigen sind, muss jeder für sich entscheiden. Fehse jedenfalls inszeniert sachlich-strenges Kunstkino, dessen schwierige Protagonistin einem am Schluss so fremd wie am Anfang scheint.

    Seit Monaten sitzt Jasmin (Anne Schäfer) in der geschlossenen Abteilung. Von der Ausweglosigkeit ihres Lebens, Schulden, geplatzten Beziehungen und den Minderwertigkeitsgefühlen ihrer strengen Mutter in eine tiefe Depression gestoßen, hat sie ein schreckliches Verbrechen begangen. Aus Verzweiflung hat sie ihre kleine Tochter getötet und anschließend versucht, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie konnte gerettet werden, doch Jasmin behauptet, sich an nichts erinnern zu können. Die Psychiaterin Dr. Feldt (Wiebke Puls) geht der Sache auf den Grund und plant vier Sprechstunden ein, in denen sie herausfinden will, wie es zur Tat kommen konnte. Langsam öffnet sich Jasmin bei diesen Gesprächen und legt Zeugnis ab von einem Leben, das schon früh aus den Fugen geriet und das Unglück anzuziehen schien. Über den gruselig verklärt-vergötterten Vater, die passiv-aggressive Mutter und die stets völlig verkrachten Männer, die ihr Leben als Liebschaften kreuzten, spricht sie dabei genauso wie über ihre Schuld. Langsam nähern sich die beiden Frauen der Nacht an, in der Jasmin den schrecklichen Entschluss fasste...

    Regisseur Jan Fehse und Autor Christian Lyra, die schon beim Ensemble-Drama „In jeder Sekunde" zusammengearbeitet haben, legen „Jasmin" als Kammerspiel von formaler Strenge an. Bis auf drei kurze Zwischenspiele spielt der gesamte Film in einem einzigen Raum, an einem Tisch bei geschlossenen Fenstern ab. Als Referenz kommt einem da gleich Romuald Karmakars quasi-dokumentarisches Kammerspiel-Experiment „Der Totmacher" in den Sinn, in dem Götz George einst den Serienkiller Fritz Haarmann im Verhör verkörperte. Mit einem solch legendären Vorbild nimmt man eine große Bürde auf sich. Dass „Jasmin" darunter ächzt, liegt dabei nicht am Skript: Christian Lyra hat sich spürbar ausführlich mit der Materie befasst und liefert einen guten informierten Einblick ins Leben und die Denkweise von Frauen, die unter Druck zusammenbrechen und ihre Verzweiflung an ihren Kindern entladen. Zielstrebig treibt er die Gespräche der beiden Frauen voran und umreißt die üblichen Problemfelder von Jasmins Leben, ohne dabei (allzu) didaktisch zu werden.

    Auch wenn hier recht schnell die essentiellen Probleme zu Tage treten, wird doch nicht alles ausformuliert und überdeutlich in den Raum gestellt. Nicht jede Frage aus Jasmins Leben kann beantwortet werden, vieles bleibt im Dunkeln. Das Publikum wird dazu aufgefordert, selbstständig Lücken auszufüllen und etwaige vorschnelle moralische Urteile zu überdenken. Das gelingt manchmal erstaunlich gut und frustriert dann wieder sehr, wenn man der Therapeutin zurufen möchte, doch bitte nachzuhaken, wenn Jasmin in offensichtlicher Verklärung ein Heiligenbild um ihren früh verstorbenen Vater spinnt oder ihre Mutter zur dämonischen Hexe stilisiert. Doch die Intervention bleibt aus, auch der Regisseur bleibt seiner Versuchsanordnung eines ergebnisoffenen Interviews treu – künstlerisch ambitionierte Kamerafahrten, originelle Winkel oder sonstige Tricks, die und ins Leinwandgeschehen ziehen sollen, sucht man in Fehses bewusst kühler Inszenierung vergebens. Daher kommt er auch mit Ausnahme von gelegentlich und sehr dezent eingesetzten Klangteppiche, die wie ein weit entferntes Grollen die Anspannung verdeutlichen, ohne Musik aus und vertraut ansonsten ganz auf die Darsteller.

    „Jasmin" steht und fällt mit den Schauspielern - und ausgerechnet da liegt das größte Problem des Films. Während Wiebke Puls („Sommer in Orange") als Doktor Feldt mit wenigen minimalistischen Gesten Interesse für ihre Figur aufbaut und auch mit leisesten Nuancen einen eigenen Charakter entwirft, ist es ausgerechnet Anne Schäfer („Cindy liebt mich nicht") als Jasmin, die der schwierigen Aufgabe nicht immer ganz gewachsen zu sein scheint. Jedenfalls bleibt ihre Darstellung äußerlich und künstlich. Vor allem durch ihr angestrengt klingendes Theaterdeutsch hat man immer die ehrgeizige Schauspielerin Schäfer im Ohr und vor Augen – und fast nie die junge Kindsmörderin Jasmin. Die darstellerische Technik schiebt sich vor die Figur und verhindert die emotionale Anteilnahme. Wenn Schäfer laut wird und manche Sätze aufgebracht ins Gesicht ihrer Filmpartnerin schreit, wirkt das schlichtweg forciert, auch ihre Betonungen oder ihr gelegentliches Nölen wirken in diesem Sinne selten echt.

    Fazit: Angesichts des schwierigen Themas ist es gut, dass die Filmemacher nie in Rührseligkeit abdriften oder zu einfache Lösungen bieten, doch dabei bleibt „Jasmin" auch gleichermaßen angestrengtes wie anstrengendes Kunstkino.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top