2003 machte William Karel mit seiner brillanten Mockumentary „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond" dem leichtgläubigen Zuschauer mit Interviewausschnitten und vermeintlichem Found-Footage-Material weis, die Mondlandung sei lediglich von der US-Regierung inszeniert gewesen, bevor er das eigene Projekt schließlich im Abspann augenzwinkernd als „Fälschung" zu erkennen gibt: ein großartiges, zu Recht mit dem Grimme-Preis gewürdigtes Beispiel für die Manipulationsgewalt der Massenmedien. Acht Jahre später liefert Bart Layton nun einen weiteren Beweis dafür, wie einfach ein Publikum an der Nase herumgeführt werden kann, wenn man es nur geschickt anstellt: „The Imposter" ist ein atmosphärisch ungemein dichtes, clever arrangiertes Doku-Drama über den französischen Serien-Hochstapler Frédéric Bourdin, dessen Fall 2005 für großes Aufsehen sorgte und der von der Presse den Spitznamen „Das Chamäleon" verpasst bekam. Laytons undurchsichtiger Hauptdarsteller Adam O'Brian zieht den Zuschauer dabei von Beginn an in seinen Bann zieht und führt ihn in eindrucksvoller Manier hinters Licht.
San Antonio, Texas, 1994. Der 13-jährige Nicholas Barclay verschwindet spurlos aus dem Haus seiner Eltern. Die Nachforschungen der örtlichen Polizei verlaufen im Sand und für nennenswerte mediale Aufmerksamkeit ist der Fall zu gewöhnlich. Drei Jahre später lesen Polizisten in einer spanischen Kleinstadt einen verängstigten Jugendlichen auf, der sich als Nicholas Barclay ausgibt und den Behörden erzählt, er sei mit Mühe und Not einem international agierenden Kinderporno-Ring entflohen. Was zunächst niemand ahnt: Bei dem Teenager handelt es sich nicht um den verschwundenen Nicholas, sondern um den Franzosen Frédéric Bourdin (Adam O'Brian), der seine Jugend in verschiedenen Kinderheimen verbrachte und eine ganz besondere Technik entwickelt hat, um diesen zu entkommen. Er nimmt die Identität von verschwundenen Altersgenossen an...
Der echte Nicholas, 1994: Ein niedlicher Aaron-Carter-Verschnitt, blonde Wuschelfrisur, unschuldig-strahlendes Grinsen, blaugraue Augen. Der falsche Nicholas, 1997: Ein kantiges Profil, offensichtlich blond gefärbte Haare, dichter schwarzer Bartwuchs, braune Augen. Für den Zuschauer ist der Schwindel sofort offensichtlich – doch offenbar scheinen weder Nicholas überglückliche Mutter Beverly Dollarhide, noch seine Schwester Carey Gibson, die sich im Film beide selbst spielen, das rätselhafte Täuschungsmanöver wahrzunehmen. Was läuft hier? Altmeister Alfred Hitchcock sagte einmal, er wolle zu jedem Zeitpunkt seiner Filme steuern, was der Zuschauer gerade denke. Was der „Master of Suspense" wie kaum ein zweiter Regisseur in Perfektion demonstrierte, gelingt nun auch Bart Layton, der bislang als TV-Dokumentarfilmer tätig war: Der Regisseur spielt mit seinem Publikum, wiegt es eine gute Stunde lang in trügerischer Sicherheit und lässt dann plötzlich eine Bombe platzen. Die Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion meistert Layton dabei spielend.
Da „The Imposter", der seine Premiere beim renommierten Sundance Filmfestival feierte und beim Zürich Film Festival als beste internationale Dokumentation ausgezeichnet wurde, am besten funktioniert, wenn man ohne größeres Vorwissen den Kinobesuch antritt, soll der Handlungsverlauf an dieser Stelle nur angedeutet werden. Je länger die atemberaubende Mischung aus Archiv-Material, Interviews und Spielfilmszenen dauert, desto stärker realisiert der Zuschauer, dass Layton nicht bloß die – u.a. auch bereits in dem Spielfilm „The Chameleon" verarbeitete - Geschichte von Frédéric Bourdin und dessen Diebstahl fremder Identitäten schildern möchte, sondern eigentlich ein ganz anderes Ziel verfolgt: Der Filmemacher demonstriert in eindrucksvoller Manier, wie leicht man sich als Zuschauer manipulieren lässt. In „The Imposter" ist der Weg das Ziel, und nach dem Abspann eines klar: Wer sich vorschnell davon freispricht, dem Charme und den Schwindeleien eines charismatischen Hochstaplers wie Bourdin erliegen zu können, täuscht sich gewaltig. Dies ist nicht zuletzt auch dem Theaterschauspieler Adam O'Brian und seiner großartigen Darbietung in seinem Filmdebüt zu verdanken – und schließlich verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm komplett.
Fazit: Mit „The Imposter" feiert Bart Layton ein starkes, handwerklich perfektes Kinodebüt, das lange nachwirkt und gerade aufgrund der geschickten Kombination aus Fakten und Fiktion reichlich Diskussionsstoff liefert.