Die Bezeichnung „lebende Legende" wird mit geradezu inflationärer Häufigkeit verwendet – einer, der allerdings mit Fug und Recht so bezeichnet werden kann, das ist der Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner. Wenn ein Mann in dichter Folge und mit einem oft an selbstmörderische Kühnheit grenzenden Wagemut die Dächer der Welt erklimmt, sich selbst jede Strapaze zumutet und auf seinen abenteuerlichen Wegen so manche Tragödie erleidet, ohne von seinem Kurs abzukommen, dann hat er sich den Legendenstatus redlich verdient. Dass Persönlichkeiten wie der kraxelnde Nonkonformist M. auf die Leinwand gehören, ist eine Selbstverständlichkeit – so begleitete ihn der deutsche Regie-Abenteurer Werner Herzog 1984 bei seiner Expedition auf den Gipfel des „Gasherbrum - Der leuchtende Berg", während die schicksalhafte Besteigung des „Nanga Parbat", bei der Messners Bruder Günther verstarb, 2010 im gleichnamigen Spielfilm von Joseph Vilsmaier nacherzählt wurde. Mit dem Dokumentarporträt „Messner" will Andreas Nickel nun anders als seine Vorgänger die gesamte Karriere des mittlerweile 68-Jährigen beleuchten: ein ehrgeiziges Vorhaben. An Schauwerten mangelt es dabei nicht, der „lebenden Legende" mit all ihren Ambivalenzen wird Nickel jedoch nicht gerecht.
„Messner" ist ein zügiger Marsch durch das Leben der Bergsteiger-Ikone. Kompakt werden Kindheit und Jugend im ländlichen Südtirol abgeschritten: Messner ist eines von neun Kindern und wuchs unter der Knute eines autoritären Patriarchen und herrischer Lehrer auf. Früh war dem jungen Reinhold klar, dass er nicht für eine kleinbürgerliche Biografie geschaffen war. Bald stand das Bergsteigen ganz im Mittelpunkt seines Lebens – und auch Nickel legt sein Augenmerk nur am Rande auf biografische Eckpfeiler. Stattdessen konzentriert der Filmemacher sich auf die Dramen und Abenteuer schicksalsträchtiger Expeditionen. Neben Messner selbst, der hier munter aus dem Nähkästchen plaudert, kommen dabei auch Freunde, Verwandte und Kollegen zu Wort, die nicht selten voller Bewunderung von einem Leben im Zeichen der Gipfel berichten. Messner selbst wirkt dabei wie ein Existenzialist in luftiger Höhe, wie ein Philosoph der Berge, der sich selbst in Extremsituationen erfahren will und den Tod nicht fürchtet. Da können Ego und Sehnsucht noch so groß sein – im Schatten der Berge, das weiß er, ist er verschwindend klein.
In visueller Hinsicht ist „Messner" tief beeindruckend. Mit großem Aufwand haben Nickel und sein Team spektakuläre Impressionen eingefangen, die einen starken Eindruck von der Gefährlichkeit und der Herrlichkeit der Messner‘schen Kraftakte an all den atemberaubend steilen Bergflanken vermitteln. Der Versuch, dem Menschen Messner inmitten dieser gewaltigen Panoramen im Rahmen einer Infotainment-Dramaturgie nahezukommen, geht dabei jedoch schief. Hier wird ein Kapitel der Messner-Biografie nach dem anderen abgehakt und danach weiß man ganz sicher, in welcher Reihenfolge der Mann all die Achttausender bestiegen hat. Sein Innenleben aber bleibt rätselhaft. Zwar ist es sehr unterhaltsam, den bedächtig redenden und zwischen natürlicher Eitelkeit und Entrückheit pendelnden Messner in Interview-Situationen zu erleben und seinem Erzählfluss zu lauschen. Dennoch wirkt die autorisierte Biografie damit schließlich auch wie ein etwas unkritisches Selbstporträt nach dem Motto „Reinhold M. und wie er sich selbst sah".
Unkompliziert spannend ist dagegen das hier aufgefahrene Archivmaterial. So etwa eine Aufnahme aus den 70er Jahren, in der Bergsteiger-Veteran Luis Trenker („Der Berg ruft") in den 70ern zum jungen Wilden Messner befragt wird und dann mit wunderbar unverstellter Verbissenheit dessen Technik lobt, dabei aber auch dessen medienbewusstes Selbstvertrauen anprangert. Ein Vorwurf, den man ruhig ernst nehmen darf, dessen Implikationen Messner jedoch um einiges interessanter und menschlicher wirken lassen als zehn imposante Kameraflüge über Berghänge. Gerade im Vergleich zu Herzogs „Gasherbrum" – nach wie vor dem ultimativen Messner-Film –, in dem der Person Messner mit Feingefühl und Mut zum Widerspruch auf den Zahn gefühlt wurde, wirkt Nickels Doku schlicht ein wenig seicht und in vielerlei Hinsicht banalisierend.
Wenn man den Strapazen der Messner'schen Expeditionen auf den Grund gehen will, dann ganz sicher nicht wie hier mit nachgestellten Szenen, die in unregelmäßigen Abständen eingeschoben werden und ziemlich deplatziert wirken. Plötzlich müssen da Extremsituationen simuliert werden, die eigentlich in der bloßen Erzählung schon für Gänsehaut sorgen könnten, jedoch in bestenfalls zweckdienlich inszenierter Form wie ein zweitklassiges Drama wirken. Auch erklärt sich nicht so recht von selbst, weshalb Nickel gleich mehrfach Bob Dylans „The Times They Are a-Changin" zur Untermalung der Panoramen einspielen musste. In Momenten wie diesen erinnert „Messner" eher an einen Image-Film wie „Klitschko". Wer hofft, endlich wesentlich mehr über den Menschen hinter diesem Image zu erfahren, wird hier enttäuscht werden. Immerhin: Als andächtiger Bergbilderreigen funktioniert „Messner" prächtig.
Fazit: „Messner" ist eine visuell herausragende Dokumentation, die mehr in die Breite als in die Tiefe (oder in diesem Fall: Höhe) geht und ihrem Gegenstand dabei nie wirklich nahekommt. Für Fans ist Andreas Nickels etwas gefällig geratene Kino-Verbeugung dennoch ein Muss.