So sehr die Zuschauer sich auch um Unvoreingenommenheit bemühen mögen: Behinderung und Bühne, das bleibt eine heikle Verbindung. Und zwar nicht nur deshalb, weil die normgeprägten Sinne sich bei allem guten Willen immer noch schwer mit jeder Abweichung tun. Sondern auch, weil selbst die am besten gemeinten Projekte, in denen Menschen mit Behinderung nach dem Motto „Schaut her, sie können's ja auch" auftreten, oftmals den unangenehmen Beigeschmack der Zurschaustellung haben. In seiner starken Dokumentation „Alles wird gut" hatte Niko von Glasow die klassischen Mechanismen der Repräsentation von Behinderung und scheinbarer Normalität auf der Bühne und im Film klug hinterfragt. Wie bei von Glasow geht es auch in Lena Koppels schwedischem Spielfilm „Die Kunst sich die Schuhe zu binden" wenigstens am Rande um eine Casting-Show. Allerdings gerät die Komödie mit ernsten Untertönen allzu schematisch und bemüht.
Für den Schwerenöter Alex (Sverrir Gundnason) kommt es ganz dicke: Erst verliert er seinen Job und dann schmeißt ihn auch noch seine Freundin Lisa (Cecilia Forss) raus. Nur sein Bruder nimmt ihn wenn auch eher widerwillig auf, doch der lebt in der Provinz. Dort findet Alex, der von einer Karriere beim Theater träumt, nur eine Anstellung als Betreuer in einem Behindertenheim. Gemeinsam mit der resoluten Hanna (Vanna Rosenberg) beaufsichtigt er seine Schützlinge bei der Arbeit in einem Mini-Sägewerk, bringt ihnen in den Pausen mehr oder weniger mühsam den Schleifenschwung bei, der dem Film seinen Titel gegeben hat. Ansonsten tut Alex alles, um Hanna, seine Chefin Annalena (Marie Robertson) und die besorgte Elternschaft mit unorthodoxen Methoden in den Wahnsinn zu treiben. Sein größter Coup: Der gesangsbegabte Trupp soll doch bei der größten schwedischen Casting-Show auftreten. Undenkbar, schreien die Eltern, und als die Idee schon gestorben scheint, machen Ebbe, Leif, Katarina, Kristina, Filippa und Kjell-Åke sich einfach auf eigene Faust auf den Weg ins Studio.
Der Film basiert auf einer wahren Geschichte: Aus dem Projekt eines Tageszentrums für Menschen mit geistiger Behinderung ging die Theatergruppe „Glada Hudik" hervor, deren Mitglieder sich hier selbst spielen. Damit geht eine gewisse Verengung der Perspektive einher, das komplexe Geflecht aus Mensch und Figur, Fiktion und Wirklichkeit, dramatischer Überhöhung und Einebnung innerer Widersprüche, das sich hier ergibt, ist für Regisseurin Lena Koppel kein Thema. Für eine solche Reflexion fehlt ihr die Distanz zu den realen Protagonisten. Und die dazugedichtete Handlung vom Müßiggänger, der sich zur verantwortungsvollen Person entwickelt, hat auch keinen erzählerischen Mehrwert. So drängt sich jedenfalls der Eindruck auf, dass die Regisseurin eine nicht-behinderte Identifikationsfigur eingebaut hat, weil sie entweder dem Publikum oder ihren anderen Darstellern nicht ausreichend vertraute.
Immerhin hatte „Elvis", die letzte Produktion des „Glada Hudik"-Theaters, in Schweden satte 110.000 Zuschauer und so bleibt das schale Gefühl, einer teilweise wahren Erfolgsgeschichte vorwerfen zu müssen, dass sie eine Erfolgsgeschichte ist. Aber auch der echte Erfolg wirkt fabriziert, wenn er in ein abgenutztes erzählerisches Korsett gezwängt wird wie hier. An Koppels Film ist wenig Überraschendes und wenn sich am Ende alle Konflikte in Wohlgefallen auflösen, das zunächst skeptische Publikum begeistert und der zornige Vater besänftigt ist, dann wirkt die Harmonie allzu gezwungen – vor allem hat die Geschichte da längst einen großen Teil ihrer Individualität eingebüßt, sie ist – mit Sängern und Nicht-Sängern, mit Behinderten und Nicht-Behinderten – im Kino schon tausendfach ganz ähnlich erzählt worden.
So sind es die kleinen, sanften Überraschungen, die in Erinnerung bleiben: Der Auftritt bei der durchgestylten Casting-Show etwa endet nicht in einem Triumph und auch nicht in einem Desaster von Buh-Rufen, sondern still und leise, weil Leif (David Gustafsson) plötzlich gesundheitliche Probleme bekommt. Die Truppe geht unspektakulär und kommentarlos von der Bühne. Solche dezenten Momente lassen die Geschichte realistisch und wahrhaftig wirken, von dieser Zurückhaltung hätte man sich ein wenig mehr gewünscht und dafür ein bisschen weniger Mission, ein bisschen weniger Appell.
Fazit: Lena Koppels Komödie „Die Kunst sich die Schuhe zu binden" basiert auf der wahren Geschichte einer Theatergruppe von geistig Behinderten. Die Kino-Klischees, die der Verfilmung dieser „Erfolgsstory" beigefügt wurden, machen den ehrenwerten Ansatz jedoch über weite Strecken zunichte.