In seiner Version von 1969 inszenierte Volker Schlöndorff Heinrich von Kleists berühmte Novelle „Michael Kohlhaas“ noch brav als politische Parabel über einen um sein Recht kämpfenden Rosshändler im 16. Jahrhundert. Der französische Regisseur Arnaud des Pallières geht in seiner Neuverfilmung einen viel radikaleren Weg: Er bebildert den Stoff um wertvolle Pferde, Gewalt-Exzesse und die zerfließende Grenzlinie zwischen Zivilisation und Barbarei mit Kämpfernatur Mads Mikkelsen („Die Jagd“) in der Hauptrolle in einer Kino-Form, die sich als überraschend zeitgemäß erweist: als alteuropäischen Western. Merkwürdig, dass bisher noch niemand auf diese brillante Idee gekommen ist.
An einer Zollschranke trifft Pferdehändler Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen) auf einen geheimnisvollen Baron (Swann Arlaud), der wie zum Spiel mit einer übergroßen Pistole auf ihn zielt und abdrückt. Kohlhaas hat Glück, dass die Waffe nicht geladen ist, doch der von seinen Leuten beschützte Adlige erhebt ein Wegegeld. Weil Kohlhaas dafür erst Pferde auf dem Markt verkaufen muss, lässt er als Pfand zwei Rappen zurück, auf die sein Knecht César (David Bennent) aufpassen soll. Als er wiederkommt, sind Rösser und Knecht schwer misshandelt. Kohlhaas klagt bei den Behörden auf Wiedergutmachung, aber ohne Erfolg. Als seine Frau Judith (Delphine Chuillot) sich bei der Prinzessin (Roxane Duran) für ihn verwenden will, wird sie tödlich verletzt. Kohlhaas bringt Tochter Lisbeth (Mélusine Mayence) in Sicherheit, baut eine Streitmacht auf und beginnt den Baron zu jagen, um mit viel Blutvergießen Recht und Rache zu erlangen.
Regisseur Arnaud des Pallières und seine Co-Autorin Christelle Berthevas nehmen sich bei der Adaption des deutschen Literaturklassikers viele Freiheiten. Zwar bleiben sie der Zeit der Handlung treu, verlegen diese aber von Deutschland in die Cevennen, eine raue Gebirgslandschaft tief im Süden Frankreichs. Französisch sind aber auch die Leichtigkeit und Stilsicherheit, mit der sich des Pallières und Kamerafrau Jeanne Lapoirie („8 Frauen“) der Gestik und Bildästhetik des Westerns, eines ursprünglich durch und durch amerikanischen Genres, bedienen. Vorbild sind dabei weniger Francois Truffaut oder Jean-Luc Godard mit ihren eigenwilligen Verpflanzungen des amerikanischen Film Noir nach Paris (z.B. in „Außer Atem“) als vielmehr Hollywood-Enthusiast Bertrand Tavernier. Dessen „Die Passion der Beatrice“ könnte gut im Doppelprogramm mit dieser neuen „Kohlhaas“-Version gezeigt werden, um zu veranschaulichen, wie eine ureuropäische Geschichte mit den Mitteln des Westerns erzählt werden kann.
Vom ersten Aufeinandertreffen zwischen Kohlhaas und dem Baron erinnert die Auseinandersetzung an klassische Western, bedeutungsschwere Seitenblicke inklusive. Unerbittlich und unbeirrt verfolgt Kohlhaas die Verursacher seines Unglücks, brennt dafür sogar Klöster nieder und fordert die Staatsmacht heraus, die er als heuchlerisch und korrupt wahrnimmt. „Michael Kohlhaas“ bedient sich zudem der Stilistik des Spaghetti-Westerns, seien es Stoppelbärte in Großaufnahme oder das Blutrot der untergehenden Sonne, endlose Ritte durch die Ebene oder das unerträgliche Summen der Fliegen.
Der langsame Rhythmus des Films widerspricht dabei zwar Kleists drängender Prosa, wird deren Sinnlichkeit aber durch die Intensität der Bilder gerecht. Anders als Kleist, der schon mal genussvoll Gehirnmasse spritzen lässt, erinnert des Pallières bei der Gewaltdarstellung eher an die schonungslose Rohheit von Clint Eastwoods „Erbarmungslos“. Das Töten ist eine hässliche, langwierige, verstörende, verängstigende Angelegenheit, die oft in finsterer Nacht oder bei düsterem Himmel - nicht selten begleitet vom Klagelied des Windes wie einst in Anthony Manns „Winchester '73“ – erledigt wird.
Auf die Schlachtgemälde, die der Armeeoffizier Kleist in seiner Novelle ausbreitet, musste des Pallières wohl nicht zuletzt aus Budgetgründen verzichten. Das Geflecht aus Ränkeschmieden der Autoritäten und unglücklichen Umständen, das zu Kohlhaas´ Situation führt, kommt ebenso etwas zu kurz. Aber die Substanz bleibt erhalten: „Michael Kohlhaas“ schildert das Schicksal eines Mannes, der sein Handeln nicht erklären, sondern nur seinem Furor folgen kann. Mads Mikkelsens Kohlhaas erinnert hierbei an Ethan Edwards alias John Wayne aus „Der schwarze Falke“. Wobei der dänische Superstar und Bösewicht aus „James Bond 007 – Casino Royale“ souverän die Balance zwischen Held und Anti-Held, zwischen stolzem, unbeugsamem Rächer und heimlichen Zweifler hält.
Fazit: „Michael Kohlhaas“ kann die Lektüre der gleichnamigen Novelle von Heinrich von Kleist nicht ersetzen, bringt den Kern aber kongenial auf die Leinwand. Hauptdarsteller Mads Mikkelsen verleiht der mythischen Hauptfigur dabei Faszination und Ambivalenz.