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    Die Vierte Macht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Vierte Macht
    Von Melanie Lauer

    Die Verfilmung des Schullektürenklassikers „Die Welle" lockte 2008 fast 2,7 Millionen Zuschauer in die deutschen Kinos. Mit diesem Riesenerfolg im Rücken erfüllte sich Regisseur Dennis Gansel im Anschluss einen seit Studententagen gehegten Traum – den Vampir-Film „Wir sind die Nacht". Das Blutsauger-Drama erfüllte die Hoffnungen auf eine deutsche Neuinterpretation des Vampirmythos jedoch nicht und floppte auf der ganzen Linie. Nun wendet sich der Regisseur einem Genre zu, dem er sich schon 1999 mit seinem Debüt, dem Fernsehfilm „Das Phantom", erfolgreich gewidmet hat. Sein Terrorismus-Thriller „Die vierte Macht" muss den internationalen Vergleich produktionstechnisch nicht scheuen und bietet über weite Strecken spannungsgeladene Unterhaltung – bis zu einem irritierenden Ende: In seinem Bemühen um eine möglichst realitätsnahe Darstellung verzichtet Gansel an dieser entscheidenden Stelle auf die sonst genretypische Zuspitzung, die auch hier durchaus folgerichtig gewesen wäre.

    Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) steckt in einer Lebenskrise. Der Berliner Szenejournalist flieht deshalb zu seinem Mentor Alexej Onjegin (Rade Serbedzija) nach Moskau, um dessen Boulevard-Magazin Moscow Match neues Leben einzuhauchen. Es dauert nicht lange, bis sein Aufenthalt in Russlands pulsierender Metropole einem nicht enden wollenden Party-Taumel gleicht, den die Bekanntschaft mit der geheimnisvollen Katja (Kasia Smutniak) jedoch schlagartig beendet. Der Klatsch-Reporter hat nur noch Augen für die schöne Russin und lanciert ihr zuliebe sogar einen politisch motivierten Nachruf in dem Promi-Blatt – mit schwerwiegenden Konsequenzen. Als Katja kurze Zeit später bei einem Bombenanschlag getötet wird und Paul plötzlich wochenlang wegen Terrorismusvorwürfen in einem russischen Gefängnis einsitzt, nimmt sein Leben albtraumartige Züge an. Von nun an ist der Journalist auf der Flucht. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass er in ein hochbrisantes politisches Komplott hineingeraten ist, und er muss sich entscheiden: Soll der einstige Lebemann seine eigene Haut retten oder die Wahrheit ans Licht bringen und sich gegen die Mächtigen in Russlands Hauptstadt stellen?

    „Die vierte Macht" startet stark. Regisseur Dennis Gansel („Die Welle", „NaPolA") schlägt ein hohes Tempo an und liefert große Explosionen, viel Action und Krawall. Genauso schnell wie zu Beginn des Films ein ganzer Wohnkomplex in sich zusammenbricht, schlittert Paul Jensen in eine Misere, die nicht nur sein komplettes Leben auf den Kopf stellt, sondern auch seine bisherigen Überzeugungen und Denkgewohnheiten erschüttert. Die Mischung aus äußerer und innerer Action stimmt und Gansel baut geschickt Spannung auf. Bewusst nutzt er dabei reale Begebenheiten, wie etwa den Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja, als Folie für seine  filmische Auseinandersetzung mit den Ursprüngen und Folgen des Terrors in Russland. So sind die vermeintlich tschetschenischen Anschläge auf russische Wohnhäuser und der darauffolgende sogenannte Anti-Terror-Krieg in Tschetschenien auch ohne expliziten Verweis deutliche Bezugspunkte und der Befund des Filmemachers ist klar, denn er zeigt uns ein Russland, das auch heute noch durchzogen ist von einem allumfassenden, lebensbedrohlichen Geheimdienstnetz. Spione, Agenten und Strippenzieher verbreiten in „Die vierte Macht" noch immer genauso viel Schrecken und Terror wie zu schlimmsten KGB-Zeiten.

    Auch über die Schauplätze (gedreht wurde in Moskau und in Kiew, das in vielen Szenen als „Double" für Russlands Hauptstadt dient) wird bereits ein eindeutiges Bild der Großmacht Russland 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gezeichnet: Zerfallene Plattenbauten, heruntergekommene Randbezirke und die schäbige Redaktion der Moscow Match, wo neue Computer und eine schicke Büro-Ausstattung die vielen mageren Jahrzehnte der Sowjet-Regierung trotzdem nicht überstrahlen können, stehen in krassem Kontrast zu den hypermodernen Apartments und den teuren Techno-Clubs der Superreichen. So werden die ungleichen Verhältnisse und die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich in Russland zwar etwas plakativ, aber durchaus glaubhaft in Bilder gefasst. Dennis Gansel wirft mit seinem Film wichtige moralische Fragen auf und beschwört große Ideale. Er prangert Ungerechtigkeit, unbedingtes Obrigkeitsdenken, veraltete und starre Hierarchien sowie den fehlenden Willen zur Demokratie bei Russlands Mächtigen an. „Die vierte Macht" ist damit nicht nur ein spannender Thriller, sondern auch ein Manifest für freie Meinungsäußerung und unabhängigen Journalismus. Allerdings verfängt sich Gansel im Verlauf der Handlung im Wechselspiel aus realen Bezügen und fiktiver Erzählung.

    Der Regisseur verweigert seiner Genre-Geschichte des unpolitischen Boulevard-Reporters, der ungewollt zum Dreh- und Angelpunkt einer großangelegten Verschwörung wird, das konsequente Ende. Er präsentiert stattdessen eine Auflösung, in der zwar für sich genommen ein nüchtern-realistisches Bild des politischen Status Quo gezeichnet wird, die aber als Kulminationspunkt der fiktiven Handlung kaum überzeugt. Die Wandlung des ich-bezogenen Klatschjournalisten zum verantwortungsbewussten Vorzeige-Reporter bleibt so nämlich ohne Pointe. Solche dramaturgischen Unschärfen kann auch die exzellente Besetzung um Moritz Bleibtreu („Das Experiment", „Soul Kitchen"), Rade Serbedzija („Snatch – Schweine und Diamanten", „Batman Begins") und Kasia Smutniak („From Paris With Love") nicht ganz ausgleichen, zumal den deutschen Akteuren durch die Nachsynchronisation des in Englisch gedrehten Films ein wenig die Nachdrücklichkeit ihrer Darstellung verlorengeht. Vor allem Max Riemelts („NapPolA", „Die Welle") Figur eines jungen Moskauer Journalisten verliert durch den extrem aufgesetzt wirkenden russischen Akzent einen guten Teil ihrer Glaubwürdigkeit.

    Fazit: „Die vierte Macht" ist spannende und actiongeladene Unterhaltung vor dem Hintergrund realer Begebenheiten: ambitioniertes Genre-Kino bis hin zur nicht ganz überzeugenden Schlusswendung.

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