Thomas Tull ist einer der schillerndsten Produzenten Hollywoods – auch weil er zwei Gesichter hat. Da ist einmal der kluge Geschäftsmann, der Beteiligungen an Hits wie „Jurassic World“ herausschlägt, wo er für wenig Arbeit viel Geld bekommt. Und da ist zum anderen der riesige Filmfan, der auch riskantere Projekte durchzieht, weil er sie selbst gerne im Kino sehen will - so gab er Guillermo del Toro freie Hand beim extravaganten Horror-Romantikdrama „Crimson Peak“. Die chinesisch-amerikanische Co-Produktion „The Great Wall“, eine von Tull selbst erdachte Herzensangelegenheit, erscheint auf dem Papier nun als die perfekte Kombination aus Geschäftssinn und Leidenschaft: ein durchaus origineller epischer Stoff, der gleichermaßen auf die zwei aktuell bedeutendsten Filmmärkte der Welt, Nordamerika und China, ausgerichtet ist – umgesetzt mit einem Meisterregisseur aus dem Reich der Mitte und einem Schauspielsuperstar aus Hollywood. Die Hoffnungen auf Einspielrekorde in China haben sich beim dortigen Start zwar nicht ganz erfüllt, aber finanziell dürfte die Rechnung bei der 150-Millionen-Dollar-Produktion am Ende trotzdem aufgehen. Und das obwohl Tull, seine Autoren und Regisseur Zhang Yimou („Hero“) zuweilen wenig Rücksicht auf westliche Sehgewohnheiten nehmen, was aus hiesiger Perspektive für einige verquere und irritierende Momente sorgt. Aber abgesehen davon – und vorausgesetzt, man kann über ein paar unterdurchschnittliche CGI-Effekte hinwegsehen – bereitet der Fantasy-Actioner dank vieler großartig-epischer 3D-Massen- und Schlachtszenen jede Menge Spaß.
Auf der Suche nach einem mächtigen schwarzen Pulver reisen Tovar (Pedro Pascal) und William (Matt Damon) durch China. Nach einer Begegnung mit einem Monster sind sie die letzten Überlebenden ihres Trupps, als sie vor einer gigantischen Mauer landen, die von einer riesigen Armee besetzt ist. Die Schilderung ihres Zusammenstoßes mit dem blutrünstigen Wesen versetzt die Soldaten in helle Aufregung. Man eilt zu den Waffen - gerade rechtzeitig, denn nur kurz darauf greifen Massen von saurierartigen Monstern namens Taotie das eindrucksvolle Bauwerk an. Mit ihrem Mut und vor allem mit Williams Künsten als Bogenschütze beeindrucken die beiden Söldner die Anführer der verschiedenen Divisionen. Die Kommandantin Lin Mae (Tian Jing) und der Stratege Wang (Andy Lau) bitten die Fremden, weiter an ihrer Seite gegen die immer in Kürze erneut angreifenden Taotie zu kämpfen. Tovar und William gehen darauf ein - allerdings nur zum Schein. Denn von dem seit 25 Jahren bei den Chinesen lebenden Ex-Söldner Ballard (Willem Dafoe) haben sie erfahren, dass es in der Waffenkammer große Vorräte des mächtigen Schwarzpulvers gibt. Beim nächsten Monster-Angriff wollen sie die Verwirrung nutzen, das Pulver stehlen und fliehen. Doch als bei viel Nebel die Taotie erneut die Mauer erstürmen, muss sich William entscheiden, wofür es sich zu kämpfen lohnt…
Sechs Autoren werden im Abspann von „The Great Wall“ gelistet, doch weder die simple, dafür aber auch effektiv-geradlinige Story, an der auch „Last Samurai“-Regisseur Edward Zwick mitgewirkt hat, noch Williams auf Schlagworte reduzierte Dialogzeilen, die unter anderem von Tony Gilroy („Michael Clayton“) stammen, bieten einen wirklichen Grund für einen Kinobesuch. Die wahren Attraktionen von „The Great Wall“ liegen woanders. Was Regisseur Zhang Yimou hier an epischen Schlachten auffährt, ist beeindruckend und teilweise sogar herausragend. In Hollywood ist es aus Kostengründen längst Usus, dass Massenszenen aus dem Computer stammen. Das hat man zwar immer weiter perfektioniert, doch es ist immer noch eindrucksvoller, wenn wie hier Tausende Statisten aufgeboten werden und echte Menschen die Leinwand füllen. Zhang weiß, was er an diesen Massen an Mitwirkenden hat und wie er sie am besten zur Geltung bringt: Mal lässt er die Kamera genüsslich über das riesige Heer auf der Mauer gleiten, mal ist im gesamten Bildausschnitt nichts anderes zu sehen als unzählige gegen Monster kämpfende Soldaten. Sehr clever ist auch, dass die verschiedenen Wächter-Einheiten – je nach ihren Waffen und Fähigkeiten - farblich voneinander abgehoben sind – das sorgt nicht nur für bessere Übersicht, sondern lässt einzelne Bilder zusätzlich wie 3D-Gemälde wirken.
Action und visuelle Reize stehen hier im Vordergrund, entsprechend schnell geht es gleich zu Beginn schon zur Sache. Die titelgebende Große Mauer wird mit ein paar Sätzen und einer illustrierenden Einstellung vorgestellt und nach einer kurzen Einführung trifft auch schon das Söldner-Duo aus fernen Landen an dem imposanten Bauwerk ein, wo sie sogleich der erste Sturmangriff der Taotie erwartet. Wenn dabei mit Speeren bewaffnete Soldatinnen wie an Bungee-Seilen die Mauer herabstürzen, Monster aufspießen, wieder nach oben geschleudert werden und mit zwei neuen Speeren das Spiel von vorne beginnen, sorgt das schon nach wenigen Minuten für ein frühes Highlight, das nur dadurch beeinträchtigt wird, dass die Taotie (in Deutsch etwa „Fresser“) leider zum Teil nicht sehr überzeugend animiert sind. So gut die Menschenszenen sind, so schwach sind viele der Momente mit den Tausenden Computer-Monstern, die übrigens nicht der Fantasie der Filmemacher entstammen, sondern nach 4.000 Jahre alten Darstellungen auf Bronzegefäßen gestaltet wurden. Für den knapp skizzierten erzählerischen Hintergrund der Taotie haben die Macher übrigens auf chinesische Legenden zurückgegriffen, die bereits „Game Of Thrones“ inspiriert haben (auch dort gibt es eine gigantische Mauer, die eine mysteriöse Bedrohung vom Reich fernhalten soll, sowie Wächter, die sich dort für ihr ganzes Leben verpflichten).
Hintergründe und Erklärungen werden hier generell knapp gehalten, das Setting ist nicht nur zeitlich recht unbestimmt und so bleibt der Fantasy-Weltentwurf in vielen Belangen rudimentär. Es geht immer in hohem Tempo voran und wenn der Regisseur dann doch einmal auf die Bremse tritt, dann sorgt das eher für Irritationen: So ist eine mutwillig hereingequetscht wirkende „Beerdigungsszene“ in diesem erzählerischen Umfeld ein Hemmschuh, der den Rhythmus stört. Und da sie gleichsam aus dem Nichts zu kommen scheint, fehlt ihr auch die emotionale Kraft. Missen möchte man dieses Einsprengsel trotzdem nicht, denn die Szene bietet mit zahlreichen gen Himmel aufsteigenden Lampen den nächsten grandiosen Schauwert. Auch die Darsteller müssen sich dabei dem Spektakel unterordnen. So wird Superstar Matt Damon („Jason Bourne“), der für die internationale Vermarktbarkeit sorgen soll, schauspielerisch wenig gefordert. Allerdings ist es eindrucksvoll, wenn er in bester „Tiger & Dragon“-Manier durch die Luft wirbelt und die Monster mit seinen Pfeilen oder einem Speer durchbohrt. Neben dem für ein paar launige Sprüche zuständigen „Game Of Thrones“-Star Pedro Pascal und dem sehr blassen Willem Dafoe („Platoon“), der hauptsächlich die Moral („Gier führt ins Verderben“) der Geschichte verkörpert, sticht vor allem die in ihrer Heimat wegen ihrer angeblichen Beziehung mit einem mächtigen Unternehmer und daraus resultierenden Nepotismus-Vorwürfen sehr kritisch betrachtete Tian Jing („Police Story 2013“) als Lin Mae heraus. Allerdings interessieren sich die Macher insgesamt zu wenig für die Figuren, damit wir wirklich ganzen Herzens mit ihrer mutig in den finalen Kampf ziehenden Anführerin mitfiebern können.
Bei internationalen Co-Produktionen ist die Sprache immer ein besonders wichtiger und oft auch kritischer Faktor. Hier verwenden die chinesischen Figuren konsequent ihre Landessprache und nur die Ausländer sprechen in der Originalfassung Englisch, wobei es bloß zwei Figuren gibt, die in beiden Sprachen bewandert sind und als Dolmetscher dienen können. Der deutsche Verleih hat sich entschlossen, ausschließlich die englischen Passagen zu synchronisieren (und die chinesischen zu untertiteln) – kein selbstverständlicher Schritt, wenn man bedenkt, wie groß zum Jahresende 2016 der Aufschrei in sozialen Netzwerken war, weil man sich bei der von RTL produzierten neuen „Winnetou“-Trilogie „erdreistete“, die Indianer untereinander nicht in deutscher Sprache parlieren zu lassen, sondern dem Zuschauer das Lesen von Untertiteln „abverlangte“. Der Atmosphäre und der inneren Glaubwürdigkeit von „The Great Wall“ tun die recht hohen chinesischen Sprachanteile jedoch in jedem Fall gut.
Fazit: In „The Great Wall“ lässt Zhang Yimou in grandiosen Schlachtenszenen beeindruckende Statistenmassen auf nicht immer gelungene CGI-Monster prallen: ein temporeiches, wenn auch manchmal holpriges Historien-Fantasy-Spektakel, das vor allem mit seinen opulenten 3D-Bildern begeistert.